Allen voran junge Eltern sollten ab diesem Herbst eine hohe Aufmerksamkeit zeigen, denn die Abläufe auf den Geburtsstationen werden angepasst. Jedes neu geborene Baby soll mindestens eine RSV-Impfung erhalten.
Zum Ende der Corona-Pandemie, die in Deutschland von drastischen Maßnahmen wie Kontaktverboten, Besuchsverboten, Maskenpflicht, Kindergarten- und Schulschließungen geprägt war, kam es zu einem deutlichen Anstieg von RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus)-Infektionen bei Kindern aller Altersgruppen. Dieser „Nachholeffekt“ führte nach Lockerung der Corona-Maßnahmen dazu, dass rund fünfmal mehr Neugeborene und unter Einjährige mit einer RSV-Diagnose im Krankenhaus überwacht oder behandelt wurden als durchschnittlich in der Zeit vor der Pandemie.
Um Überlastungen der Kinderkliniken entgegenzuwirken, soll nun allen Neugeborenen ein Medikament zur RSV-Prophylaxe verimpft werden. Es handelt sich dabei um monoklonale Antikörper, die auch als Passivimpfung bezeichnet werden. Eine vergleichbare Passivimpfung wurde in der Vergangenheit ausschließlich Frühchen und gefährdeten Neugeborenen empfohlen, die auf Grund ihrer Unreife oder Vorerkrankungen eher einen schweren Verlauf einer RSV-Infektion entwickeln.
In der sogenannten RSV-Saison, die sich von Oktober bis März erstreckt, soll allen Neugeborenen noch im Krankenhaus bzw. der Geburtseinrichtung eine Impfung mit Nirsevimab (Handelsname Beyfortus / Hersteller Sanofi und AstraZeneca) verabreicht werden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt diese Impfung so früh wie möglich und nennt dabei konkret den dritten Lebenstag. Alternativ – wenn der Geburtstermin zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr liegt – soll Nirsevimab im Rahmen der standardmäßigen U-Untersuchungen beim Kinderarzt im Herbst vor Beginn der ersten RSV-Saison gegeben werden.
Es besteht ab jetzt ein sehr reales Risiko, dass Neugeborene noch auf der Geburtsstation ohne Einwilligung, gar ohne Kenntnis der Eltern geimpft werden. Eltern von Frühchen haben in der Vergangenheit auffallend oft die Erfahrung machen müssen, dass über eine Gabe von monoklonalen Antikörpern weder aufgeklärt noch informiert wurde. Ähnlich wie bei der Verabreichung der oralen Vitamin K-Prophylaxe scheinen hier standardisierte Abläufe im Klinikalltag zu greifen, in die Eltern nicht immer einbezogen werden. Eine frühzeitige und umfassende Beschäftigung mit diesem Thema kann werdende Eltern auf überraschende Situationen kurz nach der Geburt vorbereiten.
Die Anwendung von monoklonalen Antikörpern als RSV-Prophylaxe für alle Kinder berührt gleich eine ganze Reihe von Problembereichen. Um der Komplexität dieses weitreichenden Themas annähernd gerecht zu werden, bedarf es einer Folge von Beiträgen.
In dieser Artikelserie zu Nirsevimab werden nach und nach unsere Rechercheergebnisse zu folgenden Fragestellungen veröffentlicht:
Was ist zu den Todesfällen von Säuglingen im Rahmen der Zulassungsstudien von Nirsevimab bekannt?
Welche Auffälligkeiten gibt es seit Start der Impfkampagnen mit Nirsevimab in Ländern wie Frankreich
und den USA?
Wie wird die Gefahr anaphylaktischer Reaktionen nach Impfung mit Nirsevimab international bewertet?
Welche Hinweise auf infektionsverstärkende Antikörper (antibody dependent enhancement, ADE) gibt es in der Entwicklung von RSV-Impfstoffen und welche konkret für die Anwendung von Nirsevimab?
Wie wird gewährleistet, dass Nirsevimab keine Verunreinigungen aus dem Produktionsprozess mit DNA-veränderten Zellkulturen aufweist?