Es ist ein Versuch: genbasierte Impfstoffe für Säuglinge

Schrittweise wurden die genbasierten COVID-19-Impfungen für unterschiedliche Altersgruppen entwickelt. Zuerst nur für Erwachsene getestet, sank das Alter der Zielgruppen rasch auf 16 Jahre, dann auf 12 Jahre ab. Bald schon folgten die Impfstoffe für Kinder ab 5 Jahren und nun sind erstmals genbasierte COVID-19-Impfungen für Säuglinge ab 6 Monaten auf dem Markt. Eine derart neue Impfstoff-Technologie sogar Babys zu verabreichen, wurde nicht von der erforderlichen Vorsicht begleitet, sondern von Eile.

Säuglinge ab 6 Monaten sind zur neuesten Zielgruppe für den Absatz von COVID-19-Impfstoffen geworden, obwohl Kinder aller Altersgruppen selten schwer von COVID-19-Erkrankungen betroffen sind. Die Impfstoffhersteller BioNTech/Pfizer und Moderna haben die Entwicklung ihrer COVID-19-Impfstoffe für Babys und Kleinstkinder vorangetrieben, während gleichzeitig in einigen Ländern der Welt die COVID-19-Impfempfehlungen für Kinder bereits zurückgenommen wurden. Unter Einfluss der hauptsächlich zirkulierenden Omikron-Variante zeigten sich die Krankheitsverläufe in der Regel noch milder als unter den vorherigen Viren-Varianten. Die Immunität durch natürliche Infektionen war bei Kindern bereits sehr hoch. Zudem lagen kontinuierlich mehr Daten zu Anzahl und Art der durch die COVID-19-Impfungen verursachten Impfkomplikationen bei Kindern wie Erwachsenen vor. Vor diesem Hintergrund wurden Nutzen und Risiko der COVID-19-Impfungen für die unterschiedlichen Altersgruppen neu bewertet – zumindest in einigen Ländern. 

Skandinavische Länder bewerten ihre Empfehlungen neu 

Allen voran in Skandinavien zeigten sich rasch Aktualisierungen der nationalen COVID-19-Impfempfehlungen. So haben beispielsweise Dänemark und Schweden ihre Impfempfehlungen für gesunde Kinder und Jugendliche bereits im Sommer bzw. Herbst 2022 aufgehoben, weil unter den gegebenen Bedingungen COVID-19-Impfungen für Kinder als nicht mehr angebracht bewertet werden. Finnland empfiehlt derzeit COVID-19-Impfungen ab 12 Jahren, Norwegen erst ab 16 Jahren. Für vorerkrankte Kinder, die bestimmten Risikogruppen angehören, gelten auch in den skandinavischen Ländern davon abweichenden Impfempfehlungen. Deutschland hat dabei einen anderen Weg gewählt und empfiehlt allen Kindern ab 12 Jahren mehrfache COVID-19-Impfungen mit derzeit drei Impfdosen sowie allen Kindern ab 5 Jahren eine Impfdosis. Dabei entspricht die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) von einer COVID-19-Impfdosis nicht den Vorgaben der Hersteller und nicht den Bedingungen der Zulassungsstudien. Sie stellt damit eine weltweit einmalige Impfempfehlung dar.  

Mehr Vorsicht in Deutschland – keinerlei Vorsicht in den USA 

Als Teil der mittlerweile schon 23. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung hat die STIKO im November 2022 keine allgemeine Impfempfehlung für gesunde Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 4 Jahren ausgesprochen.[1] In ihrer wissenschaftlichen Begründung weist die STIKO auf die bereits hohe natürliche Grundimmunität bei Kleinkindern durch Infektionen hin. Gleichzeitig betont sie die mangelnde Datenlage der laufenden Zulassungsstudien, die nur auf der Teilnahme weniger Kinder und einer nur kurzen Beobachtungszeit basiert. Gerade auch das Risiko von Herzschäden (Herzmuskelentzündungen und Herzbeutelentzündungen) durch COVID-19-Impfungen, die verstärkt schon bei Kindern ab 12 Jahren beobachtet werden, kann für Kinder im Alter von 6 Monaten nicht beurteilt werden.[2] Für Babys und Kleinstkinder mit angeborenen oder erworbenen Vorerkrankungen wie Immunschwäche, Herzfehler oder Lungenerkrankungen, aber auch grundsätzlich allen Frühgeborenen, empfiehlt die STIKO die COVID-19-Impfungen dennoch bereits ab 6 Monaten. 

In den USA erfolgte die Notfallzulassung der COVID-19-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna für die Kleinsten schon im Juni 2022. Direkt am Folgetag wurde dort die nationale Impfempfehlung für alle Kinder ab 6 Monaten ausgesprochen. Da sich COVID-19 als Gesundheitsgefahr vor allem für ältere Erwachsene herausgestellt hat und für Kleinkinder damit keineswegs die Bedingungen eines „Notfalls“ erfüllt sind, war in den USA viel Kritik zu vernehmen. Die Dringlichkeit einer Notfallzulassung für mRNA-Impfstoffe für Säuglinge sei offensichtlich politisch geprägt.[3] 

Weitere kritische Stimmen wurden laut, als in den USA innerhalb kürzester Zeit auch die Booster-Impfung (Auffrischung) für Säuglinge ab 6 Monaten zugelassen und empfohlen wurde. Und dies gleich mit den neuen bivalenten Omikron-Impfstoffen, die bis zum Zeitpunkt der Notfallzulassung nicht am Menschen, geschweige denn an Babys und Kleinkindern getestet wurden, sondern lediglich am Mausmodell.[4] 

Auffallend hohe Dosierungen bei Moderna auch für Säuglinge 

Für Kinder zwischen 6 Monaten und 4 Jahren umfasst eine Impfserie mit Comirnaty von BioNTech/Pfizer drei Impfungen mit jeweils 3 Mikrogramm enthaltener mRNA (mittlerweile plus Auffrischungen).[5] Zum Vergleich: Eine Impfserie für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren umfasst zwei Impfungen mit jeweils 10 Mikrogramm enthaltener mRNA (mittlerweile plus Auffrischungen); eine Impfserie für Kinder ab 12 Jahren sowie Erwachsene umfasst zwei Impfungen mit jeweils 30 Mikrogramm enthaltener mRNA (mittlerweile plus Auffrischungen). 

Wird in den gleichen Altersgruppen Spikevax von Moderna verimpft, umfasst eine Impfserie zwei Impfungen mit jeweils 25 Mikrogramm enthaltener mRNA (mittlerweile plus Auffrischungen).[6] Kurz: Die Dosierung einer COVID-19-Impfdosis des Herstellers Moderna für einen Säugling von 6 Monaten entspricht in Menge fast der Dosierung einer COVID-19-Impfdosis der Hersteller BioNTech/Pfizer für ein Kind ab 12 Jahren oder einen Erwachsenen. Da stärkere Impfreaktionen nach Impfungen mit Spikevax auch mit der höheren Dosierung in Verbindung gebracht werden, wundert es doch sehr, dass die STIKO neben Comirnaty auch Spikevax als Produkt für vorerkrankte Säuglinge oder Frühchen empfiehlt. 

Für beide Impfstoffe der Hersteller BioNTech/Pfizer und Moderna hat die STIKO für die Altersgruppe ab 6 Monaten eine Bewertung der vorliegenden Evidenz nach der sogenannten GRADE-Methodik vorgenommen.[7] Sowohl für den Aspekt der Wirksamkeit, konkret für die Verhinderung schwerer Verläufe einer COVID-19-Erkrankung, als auch für den Aspekt der Sicherheit, konkret für das Risiko schwerer Nebenwirkungen, bescheinigt die STIKO der Gesamtheit der vorliegenden Studien eine niedrige bis sehr niedrige Qualität. Die Ergebnisse unter Studienbedingungen unterscheiden sich damit wahrscheinlich (sehr niedrige Qualität / very low) oder möglicherweise (niedrige Qualität / low) von den wahren Effekten in der Wirklichkeit. Von den bereits bekannten Impfkomplikationen der COVID-19-Impfungen wurden explizit Herzmuskelentzündungen (Myokarditis) durch die STIKO näher betrachtet. Mit dem Ergebnis, dass eine Bewertung des Risikos für impfbedingte Herzmuskelentzündungen für Babys und Kleinstkinder schlichtweg nicht möglich ist: Die Qualität der vorliegenden Evidenz wird auch zu diesem Punkt als sehr niedrig angegeben.[8] 

Zulassungsstudien im Babyalter – zu klein, zu kurz und zu lückenhaft 

Als Basis beider Zulassungsstudien von BioNTech/Pfizer sowie Moderna wurden gezielt durch die Impfungen ausgelöste Immunreaktionen (Immunogenität) ausgewertet. Dazu wurden jeweils die neutralisierenden SARS-CoV-2-Antikörper der Kinder zwischen 6 Monaten und vier Jahren mit denen von jungen Erwachsenen zwischen 16 und 25 Jahren aus früheren Zulassungsstudien verglichen (Immunobridging). Die Immunreaktionen eines Säuglings von wenigen Monaten mit denen eines Erwachsenen Mitte Zwanzig zu vergleichen heißt, das gesamte Wissen um die Komplexität des frühkindlichen Immunsystems zu ignorieren. Dementsprechend führte der Vergleich nach jeweils zwei Impfdosen auch nicht zu einem messbaren Erfolg, weshalb BioNTech/Pfizer nun in ihrer Studie die Laborergebnisse von Säuglingen nach drei Impfdosen mit den Laborergebnissen von jungen Erwachsenen nach zwei Impfdosen vergleichen musste, um ein positives Ergebnis präsentieren zu können.[9] Moderna hingegen verglich erfolgreich die Werte der Säuglinge und jungen Erwachsenen nach jeweils zwei Impfdosen, was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass die höheren Dosierungen von Moderna in allen Altersgruppen stärkere Immunreaktionen auslösen.[10] 

Beide Impfstoffhersteller haben sich – vergleichbar mit den Studien aller anderen Altersgruppen – für eine frühe Auflösung der Verblindung entschieden. Die Testpersonen wurden bereits kurz nach der zweiten Impfdosis darüber informiert, ob sie zu der Gruppe gehörten, die den Impfstoff oder das Placebo erhalten hatte. Bei BioNTech/Pfizer wird eine verblindete Nachbeobachtungszeit von nur 0 bis 3 Monaten angegeben, was sie mit einem Durchschnitt von 1,4 Monaten angeben. Welche Impfkomplikationen sich in welcher Häufigkeit mit welchem Verlauf zeigen, wurde also durchschnittlich nur anderthalb Monate beobachtet, bevor auch den Teilnehmern der Placebo-Gruppe der Impfstoff angeboten wurde. Eine Vergleichsgruppe für die Comirnaty-geimpften Babys und Kleinstkinder bestand damit minimal wenige Tage und maximal drei Monate. Zur Bewertung möglicher schwerwiegender Folgen wie der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen, Herzerkrankungen oder Krebs eine völlig unzureichende Zeitspanne. Insbesondere um jegliche Aussagen zur Impfstoffsicherheit für Babys machen zu können. 

Auffällig bei der Studie von BioNTech/Pfizer ist, dass bis zum Zeitpunkt der Entblindung nur rund 30% der teilnehmenden Kinder die dritte Impfdosis der Impfserie auch wirklich erhalten haben. Zu welchem Anteil und zu welchem späteren Zeitpunkt jeweils auch die dritte Impfdosis im Rahmen der Studie verabreicht wurde, ist derzeit öffentlich nicht einsehbar. Aus welchen Gründen auch immer es nach der zweiten Impfdosis zu so einer großen Diskrepanz von 70% an Versuchspersonen kam – es bedeutet, dass noch weniger Erfahrungen mit drei Impfdosen in der Altersgruppe besteht, als die eh schon geringe Studiengröße bieten könnte.[8] 

Ebenfalls bei BioNTech/Pfizer ist einsehbar, wie viele der kindlichen Testpersonen zu Beginn der Studie an Vorerkrankungen litten: Etwa 9% der Teilnehmer (272 von 3013 Kindern). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass etwa 91% der teilnehmenden Kinder als vollkommen gesund definiert wurden. Wenn nun die STIKO diese Impfung gerade Babys und Kleinstkindern mit schwerwiegenden Vorerkrankungen empfiehlt, wird deutlich, dass sich dabei kaum auf Erfahrungen aus dieser Studie berufen werden kann. Eltern sollten sich darüber bewusstwerden, dass es sich hierbei vor allem um eine Übertragung dieser Ergebnisse von überwiegend gesunden Kindern auf Kinder mit Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen, Tumorerkrankungen oder Immundefiziten handelt.

Eltern brauchen ein Mehr an Informationen 

Konkret bedeutet dies für Eltern eines Säuglings, der beispielsweise mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt kommt, dass für dieses Kind laut STIKO zwei bzw. drei Impfdosen eines COVID-19-mRNA-Impfstoffes empfohlen werden. Drei Impfdosen mit Comirnaty, obwohl im Rahmen der Zulassungsstudie nur ein Bruchteil der Testpersonen tatsächlich drei Impfdosen erhalten hat. Das Wissen um die volle Impfserie ist immer noch begrenzt. Oder zwei Impfdosen mit Spikevax, obwohl die Dosierung für einen Säugling nahezu dem vergleichbaren mRNA-Produkt für einen Erwachsenen entspricht. Das Wissen um die Dosierung für einen Säugling ist immer noch begrenzt. Sind es doch in jedem Fall Impfungen, die in den Zulassungsstudien vor allem gesunden Kindern verabreicht wurden. Ob und wie häufig vor dem eigenen Kind bereits andere Kinder mit diesem angeborenen Herzfehler testweise COVID-19-Impfungen erhalten haben, ist für Eltern nicht einsehbar. Das Wissen um die gesundheitlichen Auswirkungen für Kinder dieses Alters mit bereits bestehenden gesundheitlichen Risiken ist immer noch begrenzt. Die Studien der Kinder zwischen 6 Monaten und 4 Jahren laufen mindestens noch bis November 2023 (Spikevax) bzw. Mai 2024 (Comirnaty). Etwa 1 bis 2 Jahre nach Studienende planen die Impfstoffhersteller finale Daten zu veröffentlichen, was sich demnach bis ins Jahr 2026 erstrecken kann. 


[1] Robert Koch-Institut: STIKO: 23. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Epidemiologisches Bulletin 46/2022, 17.11.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/46_22.pdf?__blob=publicationFile

[2] Robert Koch-Institut: Wissenschaftliche Begründung der STIKO für die COVID-19-Impfempfehlung für Kinder im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren sowie zur Anpassung der COVID-19-Impfempfehlung für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren, Epidemiologisches Bulletin 46/2022, 17.11.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/46/Art_02.html

[3] Wall Street Journal: Why the Rush for Toddler Vaccines?, 04.07.2022 
https://www.wsj.com/articles/why-the-rush-for-toddler-vaccines-covid-pandemic-children-fda-pfizer-moderna-medicine-evidence-11656951993

[4] U.S. Food an Drug Administration: Coronavirus (COVID-19) Update: FDA Authorizes Updated (Bivalent) COVID-19 Vaccines for Children Down to 6 Months of Age, 08.12.2022 
https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/coronavirus-covid-19-update-fda-authorizes-updated-bivalent-covid-19-vaccines-children-down-6-months

[5] European Medicines Agency: Produktinformation Comirnaty, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, 21.12.2022 
https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/comirnaty-epar-product-information_de.pdf

[6] European Medicines Agency: Produktinformation Spikevax, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, 19.12.2022 
https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/spikevax-previously-covid-19-vaccine-moderna-epar-product-information_de.pdf

[7] Robert Koch-Institut: Interpretationshilfe zur GRADE-Methodik, STIKO-Geschäftsstelle, Fachgebiet Impfprävention, März 2016 
https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Aufgaben_Methoden/Interpretationshilfe_STIKO-Methodik.pdf?__blob=publicationFile

[8] Robert Koch-Institut: Anhang zur 23. Aktualisierung der STIKO-Empfehlung zur Impfung gegen COVID-19, 17.11.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/46_22_Anhang.pdf?__blob=publicationFile

[9] Pfizer/BioNTech: BNT162b2 (COVID-19 Vaccine, mRNA) 6 Months Through 4 Years of Age, Advisory Committee on Immunization Practices, Centers for Disease Control and Prevention, 17.06.2022 
https://www.cdc.gov/vaccines/acip/meetings/downloads/slides-2022-06-17-18/05-COVID-Gruber-508.pdf

[10] Moderna: mRNA-1273 (Moderna COVID-19 Vaccine) in Individuals, 6 Months – 5 Years of Age, Advisory Committee on Immunization Practices, Centers for Disease Control and Prevention, 17.06.2022 
https://www.cdc.gov/vaccines/acip/meetings/downloads/slides-2022-06-17-18/04-COVID-Das-508.pdf

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