Themen:
Einrichtungsbezogene Impfpflicht:
Nachweispflichten, Ausnahmen, Benachrichtigungspflichten, Maßnahmen des Gesundheitsamtes
Stand 16.12.2021
Die betroffenen Einrichtungen sind in § 20a Abs. 1 IfSG im einzelnen aufgelistet:
Da laut Gesetzesbegründung auch „ehrenamtlich Tätige“ erfasst werden sollen und der Gesetzeswortlaut offenbar bewusst weit gefasst ist, ist nicht ausgeschlossen, dass die Vorschrift auch auf Vorstände und Ehrenamtliche angewendet wird, soweit deren Versammlungen und Tätigkeiten regelmäßig in den Räumen der Einrichtung stattfinden. Auf einen Kontakt mit den Betreuten stellt die Gesetzesfassung nicht ab. Bloß einmalige oder sporadische Einsätze von kurzer Dauer und Gefälligkeiten (z.B. zu Jahresfesten und Tagen der offenen Tür) dürften wohl nicht betroffen sein. Sofern Vorstands- und Beiratssitzungen nicht in den Räumen der Einrichtung stattfinden (z.B. bei Trägern mit mehreren Betrieben und Unternehmensbereichen), ist das Merkmal der Tätigkeit „in der Einrichtung“ nicht erfüllt.
Bei ihnen fallen zu prüfende Person und kontrollierende Person in einer Person zusammen.
Bezüglich der Begriffe des „Impfnachweises“ und des „Genesenennachweises“ verweist das Gesetz dabei jeweils auf die Definitionen in § 2 Ziffer 3 und Ziffer 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung.
§ 2 Ziffer 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung wiederum verweist bezüglich der für einen Impfnachweis anerkannten Impfstoffe und der notwendigen Anzahl von Impfdosen auf die auf der Website des PEI gelisteten Impfstoffe und Veröffentlichungen.
www.pei.de/impfstoffe/covid-19
Es ist ein Kritikpunkt an dem Gesetz, dass diese Regelungen nicht vom Gesetzgeber selbst festgelegt werden, sondern gesetzestechnisch auf das „PEI“ (Paul Ehrlich-Institut) delegiert werden. Es obliegt somit dem „PEI“, die anerkannten Impfstoffe und die jeweils erforderliche Anzahl von Impfdosen zur Erfüllung der Impfpflicht zu definieren.
Der „Genesenenstatus“ wird von der Bundesregierung in der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV geregelt (vgl. § 2 Nr. 5 SchAusnahmV). Auch dieser Status wird also letztlich nicht vom Gesetzgeber definiert und verantwortet.
Mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und den Wesentlichkeitsgrundsatz ist allerdings zu verlangen, dass die konstitutiven Elemente der bußgeldbewehrten Impfpflicht vom Gesetzgeber selbst geregelt und verantwortet werden.
Welche medizinischen Kontraindikationen anerkannt werden, regelt das Gesetz nicht näher. Wie bei der Masernimpfpflicht ist von einem gewissen Beurteilungsspielraum der Ärztinnen und Ärzte auszugehen. Es kommt – wie auch an anderer Stelle – auf die „Vertretbarkeit“ der ärztlichen Einschätzung an.
Das entsprechende ärztliche Zeugnis kann von jedem Humanmediziner (Arzt) ausgestellt werden.
Erste Gerichtsentscheidungen zu ärztlichen Attesten zu medizinischen Kontraindikationen einer Masernimpfung deuten darauf hin, dass Behörden und Gerichte – jedenfalls bei Zweifeln oder Implausibilitäten – von einer Überprüfbarkeit der ärztlichen Bescheinigungen ausgehen.
In §20 Abs. 9 IfSG ist nicht näher geregelt, wie genau ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer Kontraindikation ausgestaltet sein muss. Sowohl in Bezug auf die Masernimpfpflicht, als auch in Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen COVID-19 gibt es inzwischen Definitionsansätze und Urteile, wie z. B. das Bundesministerium für Gesundheit in seiner „Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten“ am 22.3.2022 veröffentlicht hat. (1) (2) (3)
Demnach sollte derzeit prinzipiell ein ärztliches Zeugnis folgende Angaben enthalten:
– Name, Anschrift, Geburtsdatum der betroffenen Person
– Informationen über den Arzt bzw. die Ärztin, welche(r) das Attest ausstellt (Stempel), sowie Datum der Ausstellung und Unterschrift des Arztes bzw. der Ärztin
– von welcher Impfung berfreit werden soll und ggf. das zugrundeliegende Gesetz (Masern: IfSG §20 Abs.9, Covid-19: IfSG §20a)
– kurze medizinische Begründung der Kontraindikation(en) des ausstellenden Arztes oder Ärztin.
– ärztliche Einschätzung zur Dauer des Bestehens der Kontraindikation(en)
Die Angabe eines konkreten medizinischen Grundes ist nicht erforderlich, das ärztliche Zeugnis muss jedoch wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen.
„Pauschale Formulierungen“, sowie die alleinige reine Wiederholung des Gesetzestextes (z. B. „… liegt eine medizinische Kontraindikation vor…“), werden nicht als ausreichend bewertet.
( 1) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_20a_IfSG.pdf
(2) https://openjur.de/u/2376566.html (Urteil OVG Nordrhein Westfalen vom 29.10.21)
(3) https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2021-N-18528?hl=true (VHG München vom 7.7.2021)
Die Zuständigkeit für das weitere Vorgehen bezüglich weiterhin ungeimpfter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt ab der Mitteilung des fehlenden Nachweises vielmehr primär beim Gesundheitsamt.
Auch ohne Beschäftigungsverbot können aber arbeitsrechtliche Konsequenzen seitens des Arbeitgebers drohen, eventuell mit Abmahnung und verhaltensbedingter, sogar fristloser Kündigung. Aber: Sollen Beschäftigte im Anwendungsbereich des § 20a IfSG gegenüber ihrem Arbeitgeber wirklich dazu verpflichtet sein, sich einer Impfung zu unterziehen? Soll eine Impfung arbeitsvertraglich im Verhältnis zum Arbeitgeber geschuldet sein, die der Staat den Beschäftigten nach dem öffentlichen Recht bewusst nicht auferlegt? Ausdrücklich soll nach der Gesetzesbegründung „die Freiwilligkeit der Impfentscheidung selbst unberührt“ bleiben. Diese Entscheidung des Gesetzgebers muss das Arbeitsvertragsrecht nachvollziehen.
Da die tätige Person ohne Nachweis nicht beschäftigt werden kann, droht nach Auffassung mancher anderer Juristen hier aber neben der Geldbuße auch der Ausspruch einer personenbedingten (oder verhaltensbedingten) Kündigung.
Dort heißt es zu Beschäftigten, die keinen Impf-, Genesenen- oder Kontraindikationsnachweis vorlegen, gleich an zwei Stellen wortgleich: „Im Ergebnis entfällt für diesen Personenkreis die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers. Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen können im Einzelfall in Betracht kommen“.
Eine Arbeitsleistung, die nicht rechtzeitig erbracht wird, kann grundsätzlich nicht nachgeholt werden. Die ursprüngliche Leistungsverpflichtung geht unter, das Unternehmen wird im Gegenzug von der Entgeltpflicht befreit: ohne Arbeit kein Lohn.
Regelmäßig werden Unternehmen, wenn die Arbeitsleistung wegen eines mangelnden Nachweises nicht erbracht wird, hierdurch auch nicht in Annahmeverzug kommen. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn ein Unternehmen über Arbeitsplätze verfügt, für die kein Impf- oder Genesenennachweis erforderlich ist. Solche Arbeitsplätze können in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens bestehen, auf den sich die Nachweispflicht nicht erstreckt. Auch eine Versetzung ins Homeoffice ließe die Nachweispflicht entfallen. Nur wenn solche Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen, können sich Unternehmen sicher sein, ab dem 16. März 2022 keinen Annahmeverzugslohn zu schulden.
Die Gesundheitsämter können auch Bußgeldbescheide und/oder Zwangsgelder androhen und festsetzen.
Gesundheitsämter können Mitarbeiter und Tätige auch anlasslos zur Vorlage der vorgesehenen Nachweise auffordern.
Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises des Bestehens einer medizinischen Kontraindikation, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann (§ 20a Abs. 5 IfSG).
Der Arbeitgeber hat daher die Vorlage der entsprechenden Nachweise zu kontrollieren.
Die konkreten Bußgeldtatbestände sind wie folgt geregelt (vgl. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 e – h IfSG):
- Wenn die Einrichtungsleitung eine Benachrichtigung an das Gesundheitsamt nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vornimmt,
- Wer als Beschäftigter einer vollziehbaren Anordnung des Gesundheitsamtes (Betretungs- oder Tätigkeitsverbot) zuwiderhandelt,
- Wer nach dem 16.03.2022 eine Person ohne entsprechenden Nachweis neu beschäftigt oder wer in einer Einrichtung oder einem Unternehmen neu ohne entsprechenden Nachweis tätig wird,
- Wer auf Anforderung gegenüber dem Gesundheitsamt einen Nachweis nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vorlegt.
Ein Bußgeld kann grundsätzlich – anders als ein Zwangsgeld – für jede Verwirklichung eines Bußgeldtatbestandes nur einmal verhängt werden.
Eine wiederholte Verhängung der Geldbuße kommt allerdings ausnahmsweise in Frage, wenn eine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung vorliegt oder ein neu gefasster (Unterlassungs-)Entschluss anzunehmen ist.
„Bund und Länder begrüßen es, dass der Deutsche Bundestag zeitnah über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden will. Sie kann greifen, sobald sichergestellt werden kann, dass alle zu Impfenden auch zeitnah geimpft werden können, also etwa ab Februar 2022. Bund und Länder bitten den Ethikrat, hierzu bis Jahresende eine Empfehlung zu erarbeiten“
Die Einführung einer allgemeinen Covid-19-Impfpflicht wird voraussichtlich ab Januar 2022 im Bundestag beraten werden. Bundeskanzler Scholz hat angekündigt, dass die Beratungen im Bundestag unter Aufhebung des Fraktionszwangs erfolgen sollen. Geplant sind sogenannte Gruppenanträge, hinter denen jeweils Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen stehen. Abgestimmt werden soll ausschließlich nach dem Gewissen, nicht entlang der Fraktionszugehörigkeit. Eine erste Debatte könnte für Januar angesetzt werden.
erstellt von:
Jan Matthias Hesse, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Stuttgart 16.12.21
Weitere hilfreiche rechtliche Informationen zur Situation der Angestellten in den betroffenen Berufen finden Sie auch beim Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte n.e.V.