Schon 22 Mal hat die Ständige Impfkommission (STIKO) die COVID-19-Impfempfehlungen für Deutschland überarbeitet. In die neueste Aktualisierung wurden nun die angepassten Omikron-Impfstoffe aufgenommen: Für alle Auffrischimpfungen (Booster) soll vorzugsweise ein an die Omikron-Varianten angepasster mRNA-Impfstoff der Hersteller BioNTech/Pfizer oder Moderna verwendet werden.[1][2] Dabei unterscheidet die STIKO erstaunlicherweise nicht zwischen den BA.1-Omikron-Impfstoffen und den BA.4/5-Omikron-Impfstoffen, obwohl sich die Verbreitung dieser Virenvarianten und die Studienlage dieser Produkte sehr unterschiedlich zeigen, wie IFI berichtete.
Entscheidend ist gemäß der STIKO nicht die Wahl des konkreten Impfstoffes, sondern generell die Bereitschaft zur Impfung und Auffrischung – gerne auch weiterhin mit den ursprünglichen COVID-19-Impfstoffen. Die vorab durch diverse Mediziner und Gesundheitsbehörden verbreitete Euphorie, die angepassten Omikron-Impfstoffen würden eine immense Verbesserung des Impfschutzes bieten, wird von der STIKO hier schon früh relativiert.
Insgesamt finden sich in der wissenschaftlichen Begründung der STIKO zu den Omikron-BA.1 und -BA.4/5-Impfstoffen reihenweise unklare Annahmen und Vermutungen: Die STIKO geht davon aus, leitet ab, schätzt ein, nimmt an, verweist auf und nicht zuletzt, bedauert:
„Die STIKO bedauert es außerordentlich, dass trotz der Bedeutung der Impfstoffe zur Pandemiebekämpfung und deren großen Absatzmarktes diese Daten nicht erhoben oder nicht zur Verfügung gestellt wurden, obwohl dies grundsätzlich möglich gewesen wäre.“
Um welche Daten handelt es sich dabei konkret? Es finden sich Hinweise auf Daten, die von den Impfstoffherstellern gar nicht erst erhoben wurden und auf Daten, die für eine Impfempfehlung wenig aussagefähig sind.
Fehlende Daten für eine Impfentscheidung
So erstaunlich es klingen mag, aber die Wirksamkeit der angepassten BA.1-Impfstoffe war überhaupt nicht Teil der Studien:
„Die Vakzineeffektivität wurde in der Studie nicht untersucht.“
Hingegen wurde ein Vergleich der Antikörperwerte (Immunobridging) herangezogen, um einen immunologischen Nachweis (Immunogenität) über den Effekt der Impfung darstellen zu können. Leider geht die STIKO mit keinem Wort darauf ein, dass in einer ihrer genannten Quellen – der Omikron-BA.1-Studie von Moderna – unter den mit den angepassten Impfstoffen geimpften Testpersonen mehr COVID-19-Fälle aufgetreten sind als unter den mit den ursprünglichen Impfstoffen geimpften Testpersonen. Obwohl die Antikörperwerte also deutlich erhöht gemessen werden konnten, infizierten sich dennoch mehr dieser Menschen.[3]
Für die Bewertung der BA.4/5-Impfstoffe fehlte sogar jede Datengrundlage, da zu dem Zeitpunkt lediglich am Mausmodell experimentiert wurde:
„Zur Immunogenität, Wirksamkeit und Sicherheit beim Menschen des Omikron-BA.4/5-adaptierten bivalenten Impfstoffs Comirnaty Original/Omicron BA.4/5 von BioNTech/Pfizer liegen bislang keine Daten vor. „
Wieder ist es eine Studie von Moderna – der BA.4/5-Studie an Mäusen – wo Infektionen und Erkrankungen mit dem angepassten Impfstoff nicht verhindert werden konnten:
„In … Versuchen zeigen die bivalenten Impfstoffe im Vergleich zum herkömmlichen Impfstoff einen begrenzten antiviralen Effekt nach Provokation mit BA.5.„
Konkret bedeutet das, dass alle (dreifach geimpften) Mäuse im Tierversuch trotzdem an COVID-19-Omikron erkrankt sind, nachdem sie mit BA.4/5 Virenvarianten konfrontiert wurden.
Ohne irgendwelche Daten am Menschen einsehen zu können, weitet die STIKO ihre Empfehlung sogar bis auf die Kinder aus:
„Die BA.1-adaptierten bivalenten Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und von Moderna sowie der BA.4/5-adaptierte bivalente Impfstoff von BioNTech/ Pfizer wurden – in Analogie zu den bisherigen monovalenten mRNA-Impfstoffen – ab einem Alter von 12 Jahren zugelassen, auch wenn noch keine Daten für Kinder und Jugendliche im Alter <18 Jahren vorliegen.“
Hier mangelt es eindeutig an einer nachvollziehbaren Begründung und an einer grundsätzlichen Notwendigkeit für diese Altersgruppe.
Unzureichende Daten für eine Impfempfehlung
Da auch die angepassten Omikron-Impfstoffe übereilt zugelassen wurden, bieten die Studien bisher nur Ergebnisse aus einer sehr kurzen Beobachtungsdauer. Wie lange die erhöhten Antikörperwerte bestehen bleiben und wie viele Testpersonen sich infizieren werden, ist somit völlig offen:
„Zur Schutzdauer lässt sich anhand der Datenlage keine Aussage treffen.„
Wenn die Testpersonen nur wenige Wochen beobachtet werden, fehlt es schlicht und einfach an infizierten und erkrankten Personen, die in die Bewertung aufgenommen werden können:
„Wie groß der Unterschied in der Schutzwirkung gegenüber SARS-CoV-2-Infektion, COVID-19 und schweren COVID-19-Verläufen ist, ist derzeit nicht bekannt.“
Doch selbst mit längerer Laufzeit der Studien geht die STIKO nicht davon aus, ausreichend Daten zur Wirksamkeit zu erhalten, denn:
„Aus der Fortführung der Zulassungsstudien sind aufschlussreiche Daten zur klinischen Wirksamkeit nur eingeschränkt zu erwarten, da in die Studienarme nur jeweils 163 – 437 Teilnehmende eingeschlossen waren.“
All dieser Mängel vor der Zulassung ist sich die STIKO durchaus bewusst und verlangt daher weitere Studien nach der Zulassung:
„Die STIKO fordert ausdrücklich Postmarketing-Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit der Varianten-adaptierten Impfstoffe.“
Die STIKO hat den Anspruch, ihre Impfempfehlungen auf Grundlage der besten verfügbaren Evidenz auszusprechen. Doch was tun, wenn kaum Evidenz zur Verfügung steht? Entsprechend der Angaben in ihrer wissenschaftlichen Begründung wäre zu erwarten gewesen, dass die STIKO sich bei dieser dünnen Datenbasis auf eine Verschiebung der Impfempfehlung einigt. Wenn derart klaffende Lücken zu allen Aspekten der Sicherheit und der Wirksamkeit bestehen, wenn mit Ergebnissen erst in naher Zukunft zu rechnen ist, nachdem sich Menschen bereits haben impfen lassen, dann ist das eine überaus bedenkliche Vorgehensweise.
[1] Robert Koch-Institut: STIKO: 22. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Epidemiologisches Bulletin 40-2022, 06.10.2022
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/40_22.pdf?__blob=publicationFile [2] Robert Koch-Institut: Anhang zur wissenschaftlichen Begründung der STIKO Empfehlung zur Auffrischimpfung von Personen ≥12 Jahren mit einem Omikron-BA.1-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoff, 06.10.2022
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/40_22_Anhang_adaptierte_Impfstoffe.pdf?__blob=publicationFile [3] The New England Journal of Medicine: A Bivalent Omicron-Containing Booster Vaccine against Covid-19, 06.10.2022
https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2208343