Kinder ab 5 Jahren gegen Corona impfen? Fragwürdige Begründungen der STIKO

Die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) haben eine enorme öffentliche Wirkung. Gelten die Entscheidungen der STIKO doch als verlässliche Leitlinie und medizinischer Standard. Umso mehr Unverständnis ruft daher die jüngste STIKO-Empfehlung hervor: Die einmalige COVID-19-Impfung für alle Kinder ab fünf Jahren.

Eine Empfehlung kann angenommen oder abgelehnt werden. Die STIKO-Impfempfehlungen werden von den meisten Eltern für ihre Kinder in vollem Vertrauen angenommen. Im Vertrauen darauf, dass jegliche Empfehlung der STIKO auf einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Analyse basiert. Nachdem die STIKO im Dezember 2021 ausführlich begründet hat, warum sie COVID-19-Impfungen für Kinder ohne Vorerkrankung / Risiko ab 5 Jahren nicht empfiehlt, hier nun die Kehrtwende: Allen Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren wird ab jetzt eine COVID-19-mRNA-Impfstoffdosis empfohlen.[1]

Grundsätzlich ist es in Zeiten der Corona-Pandemie nicht ungewöhnlich, sogar eher die Regel, dass die Veröffentlichungen neuer Studien oder das Auftreten neuer Virus-Varianten zu Veränderungen auch in den Impfempfehlungen führen. Eine Anpassung der Impfempfehlung gerade für Minderjährige wird schon länger gefordert, gehen mit der Omikron-Variante doch deutlich verringerte Krankheitsschwere und deutlich verringerte Hospitalisierungsraten einher. Insbesondere Kinder ohne Vorerkrankung, die schon unter der Delta-Variante nur sehr selten schwer erkrankt sind, haben nun unter Omikron eine nochmals immens verringerte Krankheitslast. Kurz: Die ohnehin schon sehr schwachen Argumente, die für eine Impfung von Kindern während der Delta-Variante gesprochen haben, sind mit der Omikron-Variante noch schwächer geworden.

Keine Infektionsverhinderung, kein Eigenschutz, kein Fremdschutz

In der wissenschaftlichen Begründung der STIKO zur Modifizierung der COVID-19-Impfempfehlung für Kinder ist ebenfalls zu lesen, dass SARS-CoV-2-Infektionen bei 5-11jährigen Kindern meist mild oder sogar ganz ohne Symptome verlaufen. Von den Kindern, die in Deutschland mit SARS-CoV-2 infiziert wurden und keine Vorerkrankungen aufwiesen, wurden lediglich 0,009% ins Krankenhaus eingeliefert. Selbst dieser geringe Wert könnte noch überschätzt sein, betont die STIKO, weil die Infektion oft ein Zufallsbefund ist, wenn Kinder wegen anderer Erkrankungen oder Unfällen ins Krankenhaus kommen. Schwere COVID-Verläufe hatten nahezu nur Kinder mit schwerwiegenden Vorerkrankungen. Für diese Kinder besteht bereits seit Ende letzten Jahres eine Impfempfehlung mit zwei COVID-19-mRNA-Impfungen.[2] Eine Impfempfehlung für alle Kinder lässt sich daraus zumindest nicht ableiten.

Unter den Voraussetzungen einer zumeist milden COVID-19-Erkrankung bei gesunden Kindern in diesem Alter ist ein Eigenschutz durch Impfungen unnötig und ein Fremdschutz durch Impfungen nicht gegeben. Können die derzeit verfügbaren COVID-19-Impfstoffe doch keine SARS-CoV-2 Atemwegsinfektionen verhindern, wie die STIKO explizit ausführt. Weil die COVID-19-Impfungen insbesondere bei Kindern wenig Wirksamkeit zur Verhinderung von Omikron-Infektionen zeigen, geht die STIKO nicht davon aus, dass eine vollständige Impfung aller Kinder mit zwei Impfdosen einen Einfluss auf die derzeitige Ausbreitung der Infektionen mit Omikron hätte.

Wenn sich weder die Verhinderung von Infektionen, noch die Schwere der Erkrankung, noch die Rate der Krankenhausaufenthalte, noch die Ausbreitung der Omikron-Variante als Begründung eignen, um gesunden Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren zu diesen Impfungen zu raten, was könnte dann als Begründung für die allgemeine Impfempfehlung geeignet sein?

Unklarheiten zu PIMS und Long-COVID

In der Vergangenheit wurde wiederholt eine Gefährdung von Kindern durch PIMS und Long-COVID angeführt, die teilweise ebenfalls als Begründung für COVID-19-Impfungen diskutiert wurde. Dabei beschreibt PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, international auch als MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) bezeichnet) seltene, entzündliche Krankheitsbilder unter Beteiligung mehrerer Organe. Obwohl der Nachweis eines direkten Zusammenhangs bisher nicht geführt werden konnte, ist ein zeitlicher Bezug einige Wochen nach einer (bestätigten oder vermuteten) SARS-CoV-2-Infektion bei einigen dieser Kinder auffällig.[3]

Neuere Studienergebnisse zeigen auf, dass seit Beginn der Delta-Variante weniger Fälle von PIMS / MIS-C zu verzeichnen waren, als zuvor noch unter der Alpha-Variante. Und dass es aktuell bei der verbreiteten Omikron-Variante zu nochmals weniger Fällen von PIMS / MIS-C kommt, als schon unter Delta. Die Wahrscheinlichkeit eines multisystemischen Entzündungssyndroms bei Kindern im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion hat somit nachweislich kontinuierlich abgenommen.[4]

Ebenfalls neuere Studien gibt es zu Long-COVID bei Kindern. Die Symptomatik dieses nicht klar abgegrenzten Krankheitsbildes umfasst vor allem Erschöpfungszustände, depressive Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und Kopfschmerzen. Studien mit Kontrollgruppen, also Kindern mit und ohne SARS-CoV-2-Infektionen, wie jüngst aus Dänemark zeigen kaum einen Unterschied auf.[5] Es lässt sich daher bis heute nicht wirklich abgrenzen, ob es sich bei den gesundheitlichen Problemen der Kinder um Folgen einer Corona-Infektion oder um Folgen der Corona-Maßnahmen handelt. Die Studienlage zu Long-COVID ist weiterhin unklar, betont auch die STIKO.[6]

Sowohl PIMS als auch Long-COVID werden auf Infektionen mit SARS-CoV-2-Viren zurückgeführt. Impfungen allerdings bieten weder einen Schutz vor PIMS noch vor Long-COVID, da die aktuellen COVID-19-Impfungen schlichtweg keinen Schutz vor Infektionen erreichen. Bei PIMS und Long-COVID ist nicht die Schwere der Erkrankung von Bedeutung, sondern bisher allein der mögliche oder nachgewiesene Bezug zu einer zurückliegenden Infektion. Zudem gibt es zunehmend Erfassungen, die zeigen, dass Long-COVID und PIMS auch durch Impfungen ausgelöst werden können.[7] Seit kurzem werden derartige Spätfolgen nach der COVID-19-Impfung teilweise oder überlappend zu Long-COVID, PIMS und MIS-C als sogenanntes Post-Vac-Syndrom bezeichnet. [8][9]

Hoher Grad an natürlicher Immunität

Den Anteil der Kinder, die bereits SARS-CoV-2-Infektionen durchgemacht haben, schätzt die STIKO derzeit auf 80%. Gerade die Zirkulation der Omikron-Variante ging mit hohen Fallzahlen einher, die zu einer Immunität gegenüber SARS-CoV-2 mindestens über mehrere Monate geführt hat. Die STIKO empfiehlt dennoch auf eine hybride Immunität zu setzen. Gemeint ist damit die Kombination von natürlicher Immunität und Impfung. In diesem Abschnitt enthält die wissenschaftliche Begründung eine erstaunliche Reihe von Spekulationen: Vermutlich kommt es bei der hybriden Immunität zu einer starken Antikörperantwort. Ein besserer Schutz vor neuen Varianten sei zu erwarten. Und möglicherweise würde diese hybride Immunität den Kindern im kommenden Herbst einen besseren Schutz vor einer erneuten Infektion bieten. Auf diesem wackeligen Konstrukt wird die natürliche Immunität, die die allermeisten Kinder problemlos erworben haben, grundsätzlich herabgestuft. Warum sollte ein Kind, welches eine Delta- oder Omikron-Infektion ganz ohne oder mit wenigen Symptomen durchlebt hat, bei einer nochmaligen Infektion mit vorhandenem Immungedächtnis größere gesundheitliche Probleme erfahren? Zumal sich die bisherige Entwicklung der SARS-CoV-2-Viren tendenziell als stärker ansteckend, aber weniger gefährlich bewahrheitet hat?

Effektivität bis Herbst zweifelhaft

Die Argumentationsansätze der STIKO, die inhaltlich durchweg gegen COVID-19-Impfungen gesunder Kinder sprechen, enthalten auch diesen einen entscheidenden Satz zur erwarteten Effektivität. Vor dem Hintergrund, dass die Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe bei Omikron-Infektionen bereits deutlich verringert und verkürzt ist, geht die STIKO nicht davon aus, dass eine im Frühsommer 2022 (zum Zeitpunkt der Impfempfehlung) vorgenommene Impfserie mit zwei Impfstoffdosen im kommenden Herbst und Winter überhaupt noch Schutz bietet.

Damit wird erkennbar, warum die STIKO für Kinder ab 5 Jahren überhaupt eine Impfung empfiehlt, obwohl sich die wissenschaftliche Begründung wie eine Aneinanderreihung von Gründen liest, die dagegensprechen: Diese Impfempfehlung wird vorsorglich ausgesprochen, um im Herbst und Winter 2022 mit dann nochmals angepasster Impfempfehlung eine weitere Dosis auch für diese Altersgruppe empfehlen zu können. Während Eltern wie Ärzte rätseln, warum nun ausgerechnet nur eine Impfdosis empfohlen wird – für die es weit weniger Studien gibt als für zwei Impfdosen, für die weder der BioNTech/Pfizer- noch der Moderna-Impfstoff eine bedingte Zulassung hat und für die es weltweit in der Anwendung kein Vorbild gibt – ist die Ankündigung einer zweiten Dosis auch für die Kinder ab 5 Jahren jetzt schon heraus zu lesen. So wird explizit von „zunächst einer“ mRNA-Impfstoffdosis gesprochen.[10] Und davon, „bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt rasch durch eine weitere Impfstoffdosis zu einer weiter optimierten Immunität“ zu kommen.[1]

Corona-Maßnahmen im kommenden Herbst

Ein Ziel der Impfempfehlung für gesunde Kinder zwischen 5 und 11 Jahren in Deutschland ist – neben der Spekulation zur hybriden Immunität und der Verhinderung seltener schwerer COVID-Verläufe – die Vermeidung von Quarantänen. Insbesondere Kinder haben darunter gelitten, wenn sie wegen einer COVID-19-Erkrankung oder auch nur wegen eines SARS-CoV-2-Verdachtes oftmals über Wochen hinweg isoliert wurden. In diesem Punkt greift die STIKO die negativen Auswirkungen der politischen Corona-Maßnahmen auf, um diese in Zukunft möglichst von den Kindern abwenden zu können. Allerdings bewertet die STIKO damit auch politische Komponenten und nicht ausschließlich medizinische Fakten, wie es ihre definierte Rolle wäre. So ist dieses Ziel auch deshalb fragwürdig, da durch Impfungen keine Quarantänen verhindert werden. Betroffene Kinder wurden nicht nur wegen eigener Erkrankungen isoliert. Die Mehrzahl der Quarantänen basierte lediglich auf positiven PCR-Tests, die das Ergebnis von kontinuierlichen, anlasslosen Testungen in Kindergarten und Grundschule waren. Werden ähnliche politische Maßnahmen kommenden Herbst wieder beschlossen, werden voraussichtlich wieder massenhaft symptomlose Infektionen erfasst, massenhaft Kinder in Quarantäne geschickt und massenhaft Kinder sozial verstört. COVID-19-Impfungen verhindern nachweislich keine SARS-CoV-2-Infektionen und sind somit auch nicht dafür geeignet, Quarantänen wegen SARS-CoV-2-Infektionen zu verhindern. 

Die Begründung bleibt fragwürdig

Wie Prof. Kekulé in seiner Analyse dieser jüngsten Impfempfehlung betont, ist im Literaturverzeichnis keine einzige neuere Studie angegeben, die erklären könnte, warum die STIKO derart entschieden hat. Die angegebenen Quellen entsprechen vollständig den Quellen, die schon zuvor herangezogen wurden, als sich die STIKO gegen eine Impfempfehlung gesunder Kinder ausgesprochen hat. Prof. Kekulé kann diese STIKO-Empfehlung daher im wahrsten Sinne des Wortes nicht nachvollziehen. Er wüsste jedoch gern, „was da gelaufen ist“.[11]

Anders entschieden haben die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Finnland, wo es keine Impfempfehlungen für gesunde Kinder zwischen 5 und 11 Jahren gibt. Die dänische Gesundheitsbehörde hat sich erst kürzlich selbst korrigiert und betont, dass sie mit dem heutigen Wissen keine COVID-19-Impfungen für Kinder in dem Alter mehr empfehlen würde. Gänzlich anders entschieden haben Österreich und die USA, wo selbst für Kinder ab 5 Jahren eine Booster-Dosis empfohlen wird, also bereits drei Impfdosen. Wenn es eine klare Evidenz für die Impfung von Kindern gäbe, wären die Impfempfehlung international nicht so derart verschieden.

Über die Ausgangslage für kommenden Herbst kann für all diese Länder nur spekuliert werden:

  • Wir wissen nicht, ob es im Herbst überhaupt eine Welle an Infektionen geben wird, die über die zu erwartenden endemischen Fälle hinaus gehen wird. 
  • Wir wissen nicht, ob die aktuellen, jetzt schon unter Omikron nicht gut schützenden Impfstoffe im Herbst dieses Jahres noch irgendeinen Schutz bieten werden.  
  • Wir wissen nicht, ob es im Herbst angepasste Impfstoffe geben wird und wie diese in Punkto Wirksamkeit und Sicherheit zu bewerten sein werden. 
  • Wir wissen nicht, wie lang die natürliche Immunität nach COVID-19-Infektion noch bestehen wird. 
  • Wir wissen letztlich noch nicht einmal, auf welcher Evidenz die unterschiedlichen Impfempfehlungen für Kinder europaweit und weltweit basieren und welche Antreiber die STIKO bei dieser erstaunlichen deutschen Impfempfehlung hatte. 

[1] Robert Koch-Institut: STIKO: 20. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Epidemiologisches Bulletin 21/2022, 25.05.2022, online vorab 24.05.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/21_22.pdf?__blob=publicationFile

[2] Robert Koch-Institut: STIKO: 15. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Epidemiologisches Bulletin 1/2022, 06.01.2022, online vorab 17.12.2021 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/01_22.pdf?__blob=publicationFile

[3] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V.: Erfassung des Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) in Deutschland, zuletzt abgerufen 14.06.2022 
https://dgpi.de/pims-survey-anleitung

[4] MedRxiv: Lower Risk of Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) with the Delta and Omicron variants of SARS-CoV-2, 31.03.2022 
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.03.13.22272267v2

[5] European Journal of Pediatrics: Long COVID symptoms and duration in SARS-CoV-2 positive children – a nationwide cohort study, 09.01.2022 
https://link.springer.com/article/10.1007/s00431-021-04345-z

[6] Robert Koch-Institut: Protokoll der 101. Sitzung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am 02.03.2022, online 21.06.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Protokolle/Sitzung_101.pdf?__blob=publicationFile

[7] The Lancet: Reported cases of multisystem inflammatory syndrome in children aged 12–20 years in the USA who received a COVID-19 vaccine, December, 2020, through August, 2021: a surveillance investigation, 01.05.2022 
https://www.thelancet.com/journals/lanchi/article/PIIS2352-4642(22)00028-1/fulltext

[8] ZDF: Long-Covid nach Impfung, zuletzt abgerufen 15.06.2022 
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-deutschland/long-covid-nach-impfung-100.html

[9] MDR: Wenn die Corona-Impfung zu Krankheits-Symptomen führt, zuletzt abgerufen 15.06.2022 
https://www.mdr.de/brisant/post-vac-syndrom-104.html
https://web.archive.org/web/20220616161944/https://www.mdr.de/brisant/post-vac-syndrom-108.html

[10] Robert Koch-Institut: Pressemitteilung der STIKO zur COVID-19-Impfempfehlung für Kinder von 5-11 Jahren und für Personen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion und bisher unvollständiger Immunisierung (20. Aktualisierung), 24.05.2022 
https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/PM_2022-05-24.html

[11] MDR Aktuell: Kekulés Corona-Kompass: Stiko-Empfehlung für Kinder-Impfung nicht nachvollziehbar, 24.05.2022 
https://web.archive.org/web/20220525033321/https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/corona-kekule-kritisiert-stiko-empfehlung-kinder-impfung-100.html

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