Masernschutzgesetz – Ablauf der Übergangsfrist

Die unter Punkt 5 erwähnten Verfassungsbeschwerden waren erfolglos. Nähere Informationen finden Sie in unserem Beitrag dazu!

Masernschutzgesetz – Ablauf der Übergangsfrist zum 31.07.2022: Rechtliche Hinweise

  1. Die Übergangsregelung zum 31.07.2022

    Zum 31.07.2022 läuft die Übergangsregelung nach § 20 Abs. 10 IfSG für die sog. Bestandskinder bzw. Bestandsmitarbeiter ab, also für Kinder, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Masernschutzgesetzes am 01.03.2020 bereits in einer Gemeinschaftseinrichtungen betreut wurden (gleiches gilt analog für Berufstätige, jünger als Jahrgang 1970, die bereits am 01.03.2020 in einer Gemeinschaftseinrichtung tätig waren und die damit ebenfalls dem Masernschutzgesetz unterfallen). Bis dahin (zum 31.07.2022) muss für diese Kinder nach aktueller Gesetzeslage ein Nachweis ausreichenden Masernschutzes bei der Einrichtungsleitung vorgelegt werden, nämlich:

    1. eine Impfdokumentation oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass bei ihnen ein ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht,
    2. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass bei ihnen eine Immunität gegen Masern vorliegt
    3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können
      oder
    4. eine Bestätigung einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer anderen in Absatz 8 Satz 1 genannten Einrichtung darüber, dass ein Nachweis nach Nummer 1 – 3 bereits vorgelegen hat.

    Diese Übergangsregelung hatte der Gesetzgeber mit Blick auf die Überlastung der Gesundheitsämter durch die COVID-19-Pandemie bereits mehrfach verlängert. Eine nochmalige Verlängerung ist bislang nicht erfolgt, auch wenn dies aktuell erneut gefordert wird:

    Aufschub der Nachweispflicht gefordert – Masern-Impfpflicht: Landkreise warnen vor massiver Belastung der Gesundheitsämter (Ärzte-Zeitung vom 26.07.2022):
    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Masern-Impfpflicht-Landkreise-warnen-vor-massiver-Belastung-der-Gesundheitsaemter-431059.html

  2. Rechtsfolgen des Verstreichens dieser Frist

    Das Verstreichenlassen der Frist hat nach der gesetzlichen Regelung keine unmittelbare Rechtsfolge für die betroffenen Familien. Insbesondere ordnet das Gesetz kein automatisches Betretungs- oder Betreuungsverbot ab dem 01.08.2022 an. Für Schulkinder gilt sowieso der Grundsatz, dass die Schulpflicht der Impfnachweispflicht vorgeht (vgl. § 20 Abs. 9 IfSG – dort letzter Satz). Aber auch bei Kita-Kindern oder bei Kindern in Tagespflege greift kein automatisches Betretungs- oder Betreuungsverbot ab dem 01.08.2022 ein. Die gesetzliche Regelung erschöpft sich vielmehr darin, dass die Einrichtungsleitung verpflichtet ist, den Umstand eines fehlenden Nachweises einschließlich der persönlichen Daten an das Gesundheitsamt zu melden.

    „Wenn der Nachweis nach Absatz 9 Satz 1 nicht bis zum Ablauf des 31. Juli 2022 vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die Einrichtung befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln.“ (§ 20 Abs. 10 S. 2 IfSG)
    https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__20.html

    Das Gesundheitsamt kann dann nach § 20 Abs. 12 IfSG vorgehen. D.h., das Gesundheitsamt kann und muss zunächst seinerseits unter angemessener Fristsetzung einen Nachweis ausreichenden Masernschutzes bei den Eltern anfordern. Wenn der Nachweis nicht innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt wird, kann das Gesundheitsamt die zur Vorlage des Nachweises verpflichtete Person zu einer Beratung laden und hat diese zu einer Vervollständigung des Impfschutzes gegen Masern aufzufordern. Die Ladung zu einer Beratung steht also nach dem Gesetzeswortlaut im Ermessen der Behörde. Zur erneuten Aufforderung zur Vervollständigung des Impfschutzes ist das Gesundheitsamt kraft Gesetzes verpflichtet.

  3. Ab wann droht ein Betretungs- oder Betreuungsverbot für den Kita-Besuch

    Nach dem Gesetzeswortlaut ist das Gesundheitsamt für die Verhängung eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbotes zuständig (§ 20 Abs. 12 S. 4 IfSG). Dieses darf erst ausgesprochen werden, nachdem das Gesundheitsamt zuvor seinerseits nochmals gesondert – unter angemessener Fristsetzung – erfolglos den Nachweis ausreichenden Masernschutzes angefordert hatte („Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt …“)

    Die Verhängung eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbotes steht im Ermessen des Gesundheitsamtes („kann“).

    Die Verhängung eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbotes erfordert verfahrensrechtlich zwingend eine vorherige Anhörung der Betroffenen und eine begründete Einzelfallentscheidung.

  4. Ankündigungen von (automatischen) Betretungsverboten bereits ab dem 01.08.2022 sind rechtswidrig

    Manche Kitas und Gesundheitsämter kündigen bereits jetzt – so bekommen wir zu hören – und unmittelbar zum 01.08.2022 das Eingreifen eines Betretungs- oder Betreuungsverbotes für Kinder ohne Nachweis von Masernschutz an. Diese Aussage ist rechtlich nicht nachvollziehbar und falsch. Möglicherweise basiert sie auf einer irrigen Interpretation des Gesetzeswortlauts.

    Es ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Masernschutzgesetz – soweit ersichtlich – einhellige Meinung, dass mit Ablauf der Übergangsfrist des § 20 Abs. 10 IfSG (also dem 31.07.2022) gerade kein automatisches Betretungsverbot eingreift. § 20 Abs. 10 IfSG (Übergangsregelung) erklärt lediglich die Sätze 3 und 4 des § 20 Abs. 9 IfSG für entsprechend anwendbar, gerade nicht aber die Vorschriften des § 20 Abs. 9 Sätze 6 und 7 IfSG, die solche Betreuungs- oder Beschäftigungsverbote für den Fall der Neuaufnahme von Betreuten oder für die Neueinstellung von Beschäftigten vorsehen. Wortlaut und Gesetzessystematik sind hier eindeutig. Wir verweisen dazu auch auf die Gesetzeskommentierungen von Rixen, NJW 2020, 647 ff; Gebhardt in: Kießling – IfSG Infektionsschutzgesetz Kommentar, 2. Auflage, zu § 20 Abs. 10; Jens Gerhard: Infektionsschutzgesetz Kommentar, 4. Auflage, § 20 Rn 95.

    Dies bestätigen im Ergebnis auch eindeutig die FAQ der Bundesregierung zum Masernschutzgesetz. Dort heisst es:

    Besondere Regelungen gelten für Personen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. März 2020 bereits in den betroffenen Einrichtungen betreut wurden oder tätig waren (§ 20 Absatz 10 Infektionsschutzgesetz, IfSG) und Personen in Kinderheimen und Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge (§ 20 Absatz 11 IfSG). Wenn diese Personen bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31. Juli 2022 keinen Nachweis vorgelegt haben, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt die erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln.
    Bei diesen Personen kann das Gesundheitsamt (nach Ablauf der Übergangsfrist bis zum 31. Juli 2022) im Einzelfall entscheiden, ob Tätigkeits- oder Betretungsverbote ausgesprochen werden (außer bei schulpflichtigen Personen und Personen, die einer Unterbringungspflicht unterliegen).

    https://www.masernschutz.de/themen/rechtliche-aspekte/

    Wie bei der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impf(nachweis)pflicht nach § 20a IfSG liegt die Verhängung eines Tätigkeits- oder Betretungsverbotes somit auch beim Masernschutz im Ermessen der Behörde und setzt eine Einzelfallprüfung voraus.

    Diese Entscheidung setzt – wie auch bei der einrichtungsbezogenen COVID-19-Nachweis- bzw. Impfpflicht – die nochmalige Anforderung der Nachweise durch das Gesundheitsamt und die Durchführung eines Anhörungsverfahrens der Betroffenen voraus.

    Die Ankündigung eines (automatisches) Betreuungsverbotes bereits ab dem 01.08.2022 und ohne Durchführung eines Anhörungsverfahrens ist damit rechtswidrig.

  1. Verweise auf die noch anhängigen Verfassungsbeschwerden zum Masernschutzgesetz

    Spätestens im Rahmen der erforderlichen Anhörung der Betroffenen kann und sollte auf die weiterhin vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden zum Masernschutzgesetz verwiesen werden.
    Unter den Aktenzeichen 1 BvR 469/20; 1 BvR 470/20; 1 BvR 471/20; 1 BvR 472/20; 1 BvR 588/20; 1 BvR 438/21 sind noch mehrere Verfassungsbeschwerden zum Masernschutzgesetz anhängig und noch nicht entschieden (Stand: 26.07.2022)

    Das Bundesverfassungsgericht hatte ursprünglich eine Entscheidung über diese Verfassungsbeschwerden schon für das Jahr 2021 in Aussicht gestellt. Aktuell ist eine Entscheidung im Laufe des Jahres 2022 in Aussicht gestellt (vgl. laufende Nr. 26 der Übersicht der Jahresvorschau 2022 des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts):
    https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2022/vorausschau_2022_node.html

    In den Verfahren geht es nicht nur um die Masernimpfpflicht als solche, sondern auch um die Modalitäten ihrer Ausgestaltung, z.B. die im weltweiten Vergleich einmalig frühe Festsetzung der Impfzeitpunkte (Erstimpfung bzw. Zweitimpfung bis zum ersten bzw. zweiten Geburtstag) sowie die mit Blick auf das Fehlen eines in Deutschland zugelassenen Masern-Einzelimpfstoffes erfolgte Erstreckung der Impfpflicht auch auf verfügbare Kombinationsimpfstoffe Masern-Mumps-Röteln-(Varizellen), sodass die Kinder auch gegen diese Krankheiten geimpft werden müssen.

    Schon allein mit Blick auf die extrem seltenen Fälle des Auftretens einer Maserninfektion in Deutschland in den letzten Jahren (laut SurvStat des RKI 10 (zehn!) gesicherte Masernfälle im Jahre 2021 in ganz Deutschland über alle Altersgruppen) erscheint es unverhältnismäßig und unzumutbar, vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über diese Verfassungsbeschwerden ein solches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen und damit die Kinder aus ihrem gewachsenen sozialen Lebensumfeld allein wegen des Umstandes der Nichtimpfung gegen Masern hinaus zu reißen.

    Spätestens im Rahmen einer Anhörung sollten sich betroffene Familien deshalb auf die o.g. anhängigen Verfassungsbeschwerden berufen und beantragen, ein Verwaltungsverfahren zum effektiven Schutz ihrer Grundrechte bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einstweilen ruhend zu stellen.

Stuttgart, den 26.07.2022
Jan Matthias Hesse
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht

Musterschreiben für möglichen  Antrag auf Ruhen des Verfahrens

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