Nirsevimab: Auffälligkeiten bei den Todesfällen 

Ab Herbst wird allen Säuglingen eine RSV-Impfung empfohlen. In den Studien zur Zulassung von Nirsevimab kam es zu einem Ungleichgewicht in der Anzahl der verstorbenen Säuglinge. Seitens der Ständigen Impfkommission werden diese Todesfälle erstaunlicherweise kaum thematisiert.  

Seit Juni 2024 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) sogenannte Passiv-Impfungen gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Demnach sollen alle Säuglinge vor oder in ihrer ersten RSV-Saison – die sich zumeist von Oktober bis März erstreckt – eine Injektion von monoklonalen Antikörpern erhalten. Die neue Empfehlung gilt für alle Kinder, unabhängig davon, ob sie zu einer Risikogruppe gehören oder nicht.[1]  

Bisher erhielten nur besonders gefährdete Säuglinge eine RSV-Prophylaxe namens Palivizumab. Konkret waren dies Frühgeborene oder Babys mit einer Herz- oder Lungenerkrankung. Die monoklonalen Antikörper dieses Produktes werden vom Körper rasch abgebaut, weshalb die Säuglinge monatlich geimpft werden müssen. Bis zum Ende der jeweiligen RSV-Saison umfasst dies nicht selten sechs Impfungen.

Mit Verfügbarkeit eines neuen Produktes monoklonaler Antikörper namens Nirsevimab (Handelsname Beyfortus) wird nun allen Babys eine Impfung empfohlen, die je nach Geburtstermin ab dem dritten Lebenstag im Krankenhaus bzw. der Geburtseinrichtung gegeben werden soll. Alternativ etwas später vor der ersten RSV-Saison im Rahmen einer U-Untersuchung beim Kinderarzt.

Zu den Auffälligkeiten aus den frühen Studien haben wir bereits hier informiert.

Todesfälle „höher als erwartet“ 

Mittlerweile sind weitere Studienergebnisse zu Nirsevimab einsehbar, die eine nähere Betrachtung verlangen. In den meisten Studien zu Nirsevimab erhielt die Vergleichsgruppe kein Placebo, sondern  Palivizumab.[2] Überwiegend wurden somit monoklonale Antikörper mit monoklonalen Antikörpern verglichen. Der STIKO scheint dieser Vergleich zweier Arzneimittel ausreichend: Für beide Gruppen war das Sicherheitsprofil von Nirsevimab identisch mit dem von Palivizumab.[1]

Im Rahmen der US-amerikanischen Zulassung von Nirsevimab hat die Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) jedoch bereits im Juni 2023 auf ein Ungleichgewicht bei den Todesfällen innerhalb der Zulassungsstudien hingewiesen.[3] Von den Säuglingen, die Nirsevimab erhalten haben, sind im Verlauf der Studie 12 Säuglinge verstoben. In den Vergleichsgruppen, die Palivizumab oder Kochsalzlösung erhalten haben, kam es zu 4 Todesfällen. Die Zahl der Todesfälle in der Nirsevimab-Gruppe lag damit „höher als erwartet“.

Der Impfstoffhersteller AstraZeneca sieht in keinem der Fälle einen kausalen Zusammenhang mit seinem Produkt. Eine Aussage, die von den Zulassungsbehörden in den USA und in Europa übernommen wurde. Auch seitens der STIKO findet sich lediglich dieser eine Satz: „Auch zwischen den berichteten Todesfällen und dem Prüfpräparat konnte kein Zusammenhang ermittelt werden.“[1]

Überprüfung der Herstellerstudien nicht möglich 

Offen bleibt, wie die Todesfälle der Säuglinge untersucht wurden. Für ein pharmazeutisches Unternehmen zöge die Bestätigung eines kausalen Zusammenhangs zwischen einer tödlichen Nebenwirkung und seinem Produkt grundsätzlich massive Probleme nach sich: Die Zulassung des Produktes wäre gefährdet. Und damit ein millionenschwerer Umsatz. Es ist daher zu befürchten, dass seitens der Hersteller kaum ein Interesse besteht, die tatsächlichen Todesursachen im Rahmen ihrer Zulassungsstudien aufzuklären. Im Prozess der Zulassung dann gibt es weder Regularien noch Möglichkeiten, um die Inhalte aus den Herstellerstudien zu kontrollieren. Letztendlich sind die Aussagen der Hersteller zu Wirksamkeit und Sicherheit nicht überprüfbar – bis das Produkt in der Bevölkerung zur Anwendung kommt. Dann erst zeigen sich Schutzwirkung und Nebenwirkungen unter Realbedingungen. In jüngster Vergangenheit zeigte sich beispielsweise für die COVID-19-Impfstoffe eine deutlich niedrigere Effektivität bei deutlich höherer Komplikationsrate als seitens der Hersteller zuvor behauptet wurde.

Todesursachen gleichen den Nebenwirkungen 

Da nicht zu jeder der insgesamt fünf Studien mit Säuglingen entsprechende Veröffentlichungen zu finden sind, erschwert dies eine vollständige Betrachtung aller Todesfälle. Aus frühen klinischen Studien der Phase I ist bekannt, dass Infektionen der oberen und unteren Atemwege zu den häufigsten Nebenwirkungen von Nirsevimab zählen.[4] Zwei Säuglinge, die Nirsevimab erhalten haben, sind an Infektionen der oberen Atemwege verstorben. Ursächlich für den Tod sollen in beiden Fällen unerkannte Vorerkrankungen gewesen sein. Auch Entzündungen des Magen-Darm-Traktes (Gastroenteritis) sind früh als Nebenwirkungen erfasst worden. Bei zwei Säuglingen, die Nirsevimab erhalten haben, findet sich Gastroenteritis als gelistete Todesursache.

Darüber hinaus sind drei der Babys an Herzversagen gestorben. Wieder drängen sich die jüngsten Erfahrungen mit den COVID-19-Impfstoffen auf: Anfangs wurde jeglicher Bezug einer Impfung gegen eine Atemwegserkrankung (hier SARS-CoV-2) und möglichen Nebenwirkungen am Herzen verneint. Mittlerweile zählen impfbedingte Myokarditis (Herzmuskelentzündung) und Perikarditis (Herzbeutelentzündung) zu den bekannten Nebenwirkungen der Corona-Impfungen. Die theoretische Möglichkeit einer Belastung des Herzens durch eine Impfung gegen eine weitere respiratorische Erkrankung (hier RSV) ist erneut gegeben.

Für zwei weitere Babys konnte keine Todesursache gefunden werden, beide Fälle werden vergleichbar dem Plötzlichen Kindstod beschrieben. Beim Plötzlicher Kindstod handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von möglichen Todesursachen, die trotz vollständiger Untersuchung des Verstorbenen (Obduktion) und Auswertung der medizinischen Vorgeschichte (Anamnese) nicht konkret benannt werden kann. Ob und welche Todesursache bei einem plötzlich verstorbenen Säugling gefunden wird, hängt maßgeblich davon ab ob und welche Untersuchungen veranlasst werden. Für die Säuglinge aus den Nirsevimab-Studien wurden dazu keine näheren Informationen veröffentlicht.

Fragliche Wirksamkeit bei unkalkulierbarem Risiko 

Eine umfassende Nutzenbewertung des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kommt zu dem Ergebnis, dass für Nirsevimab als Prävention kein Zusatznutzen gefunden werden konnte. Konkret bedeutet dies, dass für frühgeborene oder herzkranke Kinder eine Impfung mit Nirsevimab keinen höheren Nutzen bietet als die bisherigen Impfungen mit Palivizumab. Und dass für gesunde Kinder eine Impfung mit Nirsevimab keinen höheren Nutzen bietet als “beobachtendes Abwarten” – was schlicht keiner Impfung entspricht.[5]

In Studien konnte nach einer Einmaldosis von Nirsevimab bei allen Babys deutlich erhöhte RSV-spezifische Antikörper über einen Zeitraum von weit über einem halben Jahr gemessen werden. „Ob die erhöhten Antikörper-Konzentrationen jedoch einen wirksamen Schutz vor RSV-Infektionen vermitteln, kann auf Basis der Studienergebnisse nicht beurteilt werden.“, gibt die STIKO zu bedenken.[1] Die bisher kalkulierte Schutzwirkung aus den Studien kann durchaus als fraglich bezeichnet werden und wird sich unter realen Bedingungen noch beweisen müssen.

Dem gegenüber steht ein bisher völlig unkalkuliertes Risiko, nur wenige Tage alten Neugeborenen künstliche DNA-Fragmente zu verabreichen.[6] Allen voran, da für gesunde Säuglinge kaum eine solche Notwendigkeit besteht, wie der Gemeinsame Bundesausschuss noch vor Veröffentlichung der STIKO-Empfehlung zur RSV-Prophylaxe mit Nirsevimab betonte: „Bei Kindern ohne besondere Risikofaktoren ist die Gefahr eines schwerwiegenden Erkrankungsverlaufs – und damit auch der potenzielle Nutzen der Antikörpergabe – gering.“[7]

Für Deutschland stellt das Impfen aller Säuglinge ab dem dritten Lebenstag eine neue Entwicklung dar. Jahrzehntelang wurden Babys hierzulande frühestens im Alter von sechs bis acht Wochen geimpft. Es handelt sich bei den wenige Tage alten Neugeborenen mit Abstand um die jüngsten und verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Eine besonders vorsichtige Herangehensweise in der Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und in der Empfehlung durch die STIKO wäre daher dringend angebracht. Stattdessen bleibt in der Argumentation um die Notwenigkeit und die Risiken einer RSV-Passivimpfung für alle gesunden Säuglinge eine Reihe von Fragen offen.


[1] Robert Koch-Institut: STIKO: Prophylaxe von RSV-Erkrankungen mit Nirsevimab bei Neugeborenen und Säuglingen, Epidemiologisches Bulletin 26-2024, 27.06.2024 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/26_24.pdf?__blob=publicationFile

[2] Robert Koch-Institut: Anhang zur wissenschaftlichen Begründung zur Empfehlung der STIKO zur spezifischen Prophylaxe mit Nirsevimab von RSV-Erkrankungen bei Neugeborenen und Säuglingen in ihrer 1. RSV-Saison, 27.06.2024 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/26_24_Anhang.pdf?__blob=publicationFile

[3] U.S. Food and Drug Administration: FDA Briefing Document, Drug Name: Nirsevimab, 08.06.2023 

https://www.fda.gov/media/169226/download#page=38

[4] The Pediatric Infectious Disease Journal: Safety, Tolerability and Pharmacokinetics of MEDI8897, an Extended Half-life Single-dose Respiratory Syncytial Virus Prefusion F-targeting Monoclonal Antibody Administered as a Single Dose to Healthy Preterm Infants, September 2018 

https://journals.lww.com/pidj/fulltext/2018/09000/safety,_tolerability_and_pharmacokinetics_of.9.aspx

[5] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Nirsevimab (Sekundärprophylaxe von RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege), Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V, 11.07.2024 

https://www.iqwig.de/download/a24-27_nirsevimab_nutzenbewertung-35a-sgb-v_v1-1.pdf

[6] European Medicines Agency: Produktinformation Beyfortus, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, 16.07.2024 

https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/beyfortus-epar-product-information_de.pdf

[7] Gemeinsamer Bundesausschuss: Schwere RSV-Erkrankungen bei Babys vermeiden: G-BA konkretisiert Verordnungsmöglichkeiten von Nirsevimab bei Risikogruppen, 02.11.2023 

https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1141

Weitere Artikel in dieser Beitragsserie zu „Nirsevimab“:
https://impfentscheidung.online/artikelreihe-nirsevimab-passivimpfung-zur-vorbeugung-von-rsv-infektionen/