Die monoklonalen Antikörper zur RSV-Prophylaxe werden auf tierischen Zellen vermehrt. Restbestandteile aus Zellkulturen sind nicht selten noch im fertigen Arzneimittel nachweisbar. Derartige Verunreinigungen sind ein bekanntes Problem, welches sich auf die Qualität und Sicherheit des Produktes auswirken kann. Die Information zu möglichen Rückständen wird international sehr unterschiedlich gehandhabt.
In der Herstellung von Antikörpern werden seit Jahrzehnten unterschiedliche Zellkulturen verwendet. Rund zwei Drittel aller therapeutischen Antikörper entstammen sogenannten CHO-Zellen. Dabei handelt es sich um eine Zelllinie aus den Eierstöcken des chinesischen Hamsters (chinese hamster ovary-cell – CHO), die sich durch unbegrenztes Zellwachstum auszeichnet und als unsterblich gilt.
Im Fall der RSV (Respiratorischen Synzytial-Viren)-Antikörper Nirsevimab (Produktname Beyfortus) und der RSV-Impfstoffe Arexvy und Abrysvo werden die Zellkulturen mittels rekombinanter DNA-Technologie verändert. Hierbei wird ein künstliches DNA-Fragment aus dem Labor mit dem genetischen Material der Zelllinie des Hamsters verknüpft. Die genetische Information der vervielfältigten Zellen wird so dauerhaft verändert, um die gewünschten Antikörper oder Antigene für die RSV-Produkte zu erhalten.[1][2][3]
Fehlende Grenzwerte
Während des Herstellungsprozesses können Eiweiße aus den Zellen bis in das fertige Produkt gelangen. Verunreinigungen mit Resten von Zellkulturen sind tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme, da aufwändige Reinigungstechniken in der Herstellung teuer sind.[4] Seitens der Zulassungsbehörden, die neue Arzneimittel für die Anwendung am Patienten erst zulassen müssen, gibt es leider wenig Bestreben derartige Verunreinigungen stärker zu sanktionieren. Kurzum: Auch auf die Hersteller von RSV-Antikörpern und RSV-Impfstoffen wird kaum Druck ausgeübt, um möglichst hochreine Produkte auf den Markt zu bringen.
In den Produktinformationen der RSV-Impfstoffe Abrysvo für Erwachsene ab 18 Jahren und Schwangere sowie Arevxy für Erwachsene ab 50 Jahren sind gemäß der U.S.-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) mögliche Verunreinigungen des Produktes aufgeführt. Für Eiweiße aus den Zellkulturen (Wirtszellproteine) und Nukleinsäuren aus dem Genom der Zellen (DNA) werden konkrete Grenzwerte aufgeführt:
Jede Impfdosis kann auch Restmengen an Wirtszellproteinen (≤ 2,0 %) und DNA (≤ 0,80 ng/mg) aus dem Herstellungsprozess enthalten. (übersetzt aus dem Englischen)[5][6]
In Europa hingegen erhalten Gesundheitsbehörden, Ärzte und Patienten zu den exakt gleichen Produkten keinerlei Informationen über mögliche Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess. In den Produktinformationen RSV-Impfstoffe Abrysvo für Erwachsene ab 60 Jahren und Schwangere sowie Arevxy für Erwachsene ab 50 Jahren werden gemäß der europäischen Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) weder Rückstände noch Grenzwerte erwähnt.[2][3]
Die Gründe dafür finden sich in einem Positionspapier der EMA: Bis heute wurden schlichtweg keine Sicherheitsgrenzwerte für Reste aus Zellkulturen festgelegt. Entsprechend der EMA sollen Verunreinigungen mit Eiweißen und DNA aus tierischen Zellen von Fall zu Fall betrachtet werden.[7] Ob und wie die Fall-zu-Fall-Entscheidungen für die aktuellen RSV-Produkte Nirsevimab, Abrysvo und Arexvy abliefen, ist für die Öffentlichkeit nicht einsehbar.
Immunreaktionen im Tierversuch
Zumindest für eines der aktuellen RSV-Produkte gibt eine Studie erste Anhaltspunkte zum Grad der Verunreinigungen. Entsprechend dieser Studie wies der RSV-Impfstoff Arexvy von GlaxoSmithKline (GSK) Rückstände in der Höhe des Vierfachen des vorgeschlagenen Grenzwertes auf: Laut einer unverbindlichen Richtlinie (ICH Guideline)[8] wurde der maximale Grad an Verunreinigungen mit 1000 ppm angesetzt. Der Impfstoff, der den Probanden in der ersten klinischen Studienphase verimpft wurde, wies jedoch Verunreinigungen von über 4333 ppm auf.[9]
Tatsächlich waren die Zellreste aus den Kulturen der Hamsterzellen im fertigen Impfstoff ausreichend, um in einem Tierversuch die Produktion von Antikörpern gegen diese Zellreste anzuregen. Laut der Studienautoren verursachten diese Verunreinigungen bei geimpften Hasen unerwünschte immunologische Reaktionen. Bei Menschen wurden offiziell jedoch keine Hinweise darauf gefunden, dass der Impfstoff auch beim Menschen eine immunologische Reaktion auf die Zellreste hervorrufen könnte. Denn: Die Antikörper gegen die Zellreste zeigten sich bei den Testpersonen vor und nach den Impfungen in schwankender Höhe und unterschieden sich nur wenig von der Kontrollgruppe.
Diese Kontrollgruppe hat statt einer RSV-Impfung eine Tetanus-, Diphterie,- Pertussis-Kombinationsimpfung erhalten. Da sowohl das Tetanus-Toxin, das Diphterie-Toxin als auch das Pertussis-Antigen dieses Impfstoffes ebenfalls auf Zellkulturen gezogen wird, sind auch hier Verunreinigungen im Produkt wahrscheinlich. Nur ein Vergleich mit einer echten Kontrollgruppe, die lediglich Kochsalzlösung injiziert bekommt, wäre zu dieser Fragestellung einer immunologischen Wirkung von Restbestandteilen überhaupt aussagefähig. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass alle Autoren der Studie entweder beim Impfstoffhersteller GSK angestellt sind oder sich zum Zeitpunkt der Studie unter Vertrag mit GSK befanden. Gerade auch vor dem Hintergrund einer Herstellerstudie entsteht der Eindruck, dass problematische Immunreaktionen durch verunreinigte Impfstoffe aus dem eigenen Hause nicht umfassend untersucht werden sollten.
Explizit betont wird hingegen, dass der Herstellungsprozess nach diesen problematischen Stichproben angepasst wurde, um den Probanden der zweiten klinischen Studienphase ein stärker gereinigtes Produkt geben zu können. Es handelte sich dabei um die Herstellung von wenigen hundert Impfdosen für wenige hundert Testpersonen noch vor der Zulassung des Produktes. Ob nach der Zulassung der angepasste – teurere – Herstellungsprozess auch für die Herstellung von mehreren Millionen Impfdosen von Arexvy gegriffen hat, ist fraglich. Wissen wir doch aus der Zulassung der COVID-19-Impfstoffe, dass selbst die Herstellung mit zwei unterschiedlichen Verfahren von den Zulassungsbehörden international nicht beanstandet wurde. Die ausgewählten Testpersonen der Studien haben im Falle der Corona-Impfungen vor der Zulassung nachweislich einen anders hergestellten Impfstoff erhalten als die Menschen weltweit nach der Zulassung. Wobei sich auch der Grad der Verunreinigungen in diesen beiden Herstellungsprozessen immens unterschied. Hier ist eine hohe Aufmerksamkeit gefordert, da sich dieses Vorgehen bei den RSV-Produkten wiederholen könnte.
Immunreaktionen auf körperfremde Eiweiße
Es ist gängiges medizinisches Wissen, dass injizierte, körperfremde Eiweiße zu starken Abwehrreaktionen des Immunsystems führen können. Im Extremfall äußert sich dies in Form einer anaphylaktischen Reaktion, die als anaphylaktischer Schock gar einen lebensgefährlichen Notfall darstellen kann. Grundsätzlich besteht diese Gefahr bei allen injizierten Antikörper-Produkten – Nirsevimab stellt da keine Ausnahme dar – da es sich bei den Antikörpern immer um Fremdeiweiße handelt. Für die RSV-Antikörper haben wir die Zusammenhänge bereits hier im Detail erläutert.
Ob und in welchem Maße sich enthaltene Eiweiße als Verunreinigungen aus dem Produktionsprozess zusätzlich auf die Gefahr schwerer allergischer Immunreaktionen auswirken können, ist bislang wenig erforscht. Zum einen kann die Effektivität des Antikörper-Produktes gemindert werden, zum anderen kann es sich auf die Sicherheit des Patienten auswirken.[10] Für Nirsevimab sind bisher keine Angaben veröffentlich worden, ob Stichproben des Produktes schon auf Verunreinigungen mit Zellresten untersucht wurden. Durch das zunehmende Interesse an den Nachweisen von Verunreinigungen der COVID-19-Impfstoffe ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sich unabhängige Wissenschaftler der Frage zuwenden, was genau neuerdings mit Nirsevimab standardmäßig in Neugeborene injiziert werden soll.
Weitere Artikel zum Thema Nirsevimab
[1] Europäische Arzneimittel Agentur: Beyfortus, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Produktinformation, 13.12.2024
https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/beyfortus-epar-product-information_de.pdf
[2] Europäische Arzneimittel Agentur: Arexvy, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Produktinformation, 09.10.2024
https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/arexvy-epar-product-information_de.pdf
[3] Europäische Arzneimittel Agentur: Abrysvo, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Produktinformation, 09.01.2025
https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/abrysvo-epar-product-information_de.pdf
[4] World Health Organization: Guidelines for the production and quality control of monoclonal antibodies and related products intended for medicinal use, 22.04.2022
[5] U.S. Food and Drug Administration: ABRYSVO, Highlights of Prescribing Information, Package Insert, 08.01.2025
https://www.fda.gov/media/168889/download?attachment
[6] U.S. Food and Drug Administration: AREXVY, Highlights of Prescribing Information, Package Insert, 08.01.2025
https://www.fda.gov/media/167805/download?attachment
[7] European Medicines Agency: Position statement on DNA and host cell proteins (HCP) impurities, routine testing versus validation studies, 10.06.1997, Update am 26.10.2023
[8] International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use: ICH Harmonised Tripartite Guideline, Impurities in New Drug Substances, 25.10.2006
https://www.pharmadj.com/upload/ueditor/file/20181221/1545343376902061490.pdf
[9] Human Vaccines & Immunotherapeutics: Hamster neogenin, a host-cell protein contained in a respiratory syncytial virus candidate vaccine, induces antibody responses in rabbits but not in clinical trial participants, 17.01.2020
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21645515.2019.1693749
[10] Analytical and Bioanalytical Chemistry: Monitoring process-related impurities in biologics–host cell protein analysis, 01.10.2021
https://link.springer.com/article/10.1007/s00216-021-03648-2