In einer Berliner Flüchtlingsunterkunft sind Anfang April mehrere Fälle von Masern diagnostiziert worden. Daraufhin wurde der Impfstatus von rund 3700 Bewohnern dieser Unterkunft überprüft. Über mehrere Medienberichte konnte nachverfolgt werden, wie erst von rund 900 Bewohnern, wenige Tage später noch von rund 450 Bewohnern der Impfstatus als ungeklärt eingestuft wurde.[1][2] Die Vorgehensweise bei akuten Masernfällen lässt uns als Verein staunen – fallen Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Flüchtlingen doch wie Schulen und Kindergärten unter das Masernschutzgesetz.
Sobald sich Flüchtlinge oder Asylbewerber vier Wochen in einer deutschen Gemeinschaftsunterkunft aufhalten, greift auch für sie die Masern-Impfpflicht. Das heißt, sie müssen zwei Masern-Impfungen, eine Masern-Immunität oder eine medizinische Kontraindikation nachweisen können. Andernfalls erhalten sie ein Betretungsverbot für jegliche Gemeinschaftsunterkünfte. Von Personen, die vor dem Jahr 1970 geboren sind, werden keine Nachweise benötigt.[3]
Nun stellt sich die Frage, wieso derartige Nachweise in dieser Flüchtlingsunterkunft nicht systematisch mit Ankunft jeder neuen Person erfasst werden? So wie es äußerst streng von allen Beschäftigten in Gemeinschaftsunterkünften und allen Kindern in Kindergärten und Schulen eingefordert wird? Die gleichzeitige Überprüfung des Impfstatus aller Bewohner im April 2024 zeigt, dass bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Nachweise zu Impfstatus und Immunstatus der Menschen dort eingefordert wurden. Kurz: dass das Masernschutzgesetz dort nicht umgesetzt wurde.
Bereits Mitte März hat der Berliner Impfbeirat in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass „schwer erreichbare oder unterversorgte Bevölkerungsgruppen“ gezielt aufgesucht werden müssen, weil sich ein „verstärktes Infektionsgeschehen auch in Berlin schon abzeichnet.“ Konkret genannt werden hier auch Personen in Flüchtlingsunterkünften.[4] Dennoch dauerte es noch fast einen Monat, bis in dieser Großunterkunft mit der Überprüfung der Nachweise begonnen wurde.
Den Medienberichten ist zu entnehmen, dass derzeit vor allem Flüchtlinge aus der Ukraine in diesen Gebäuden untergebracht sind. Mit jeweils über 55.000 Fällen von Masern in den Jahren 2018 und 2019 zählt die Ukraine zu den europäischen Ländern mit den zahlreichsten Masernfällen.[5] Vor diesem Hintergrund hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eigens einen Ratgeber veröffentlicht, der sich an alle Länder Europas richtet, die Flüchtlinge des Ukraine-Krieges aufnehmen. Ziel dieses Dokumentes ist es, die Gesundheitsministerien aller Einwanderungsländer darüber zu informieren, wie trotz Flüchtlingsströmen aus der Ukraine insbesondere Krankheitsausbrüche von Masern und Polio möglichst zu verhindern sind.[6]
Die neueste Veröffentlichung des Robert Koch-Institutes (RKI) zu Masernfällen in Deutschland bringt die Problematik nochmals auf den Punkt: “Ein hoher Anteil der gegenwärtig in Deutschland beobachteten Fälle wurde aus dem Ausland importiert.”[7] Eingeschleppte Fälle von Masern sind in Deutschland kein neues Phänomen. Wir haben bereits hier und hier darüber berichtet. Es erstaunt jedoch, wie nachlässig aktuell in Berlin damit umgegangen wird.
Wenn die Gesundheitsbehörden tatsächlich so besorgt um Ausbrüche von Masern in der Bevölkerung wären, müssten sie ausnahmslos bei allen Gemeinschaftsunterkünften systematisch, rigoros und rasch die gesetzlich geforderten Nachweise prüfen. Anders als in Kindergärten und Schulen wird das Masernschutzgesetz in Flüchtlingsunterkünften völlig nachlässig umgesetzt. Die große Besorgnis der Gesundheitsbehörden um die Erkrankung Masern, wie sie medial seit vielen Jahren bestärkt wird, ist in dem Vorgehen in Berlin-Tegel nicht zu erkennen. Diese Ungleichbehandlung von Menschen in unterschiedlichen öffentlichen Einrichtungen ist medizinisch nicht zu begründen, politisch jedoch durchaus. Für uns als Verein ein weiteres Beispiel dafür, dass dieses Gesetz vor allem politisch motiviert entstanden ist.
[1] Tagesschau: Berlin-Tegel: Zahl der Masern-Infektionen in Flüchtlingsunterkunft steigt weiter an, 10.04.2024 [2] Tagesspiegel: Masernfälle im Berliner Ankunftszentrum: Noch rund 450 Geflüchtete in Tegel mit unklarem Impfstatus, 11.04.2024 [3] Bundesministerium für Gesundheit: Masernschutzgesetz: Alle FAQ auf einen Blick, Rechtliche Informationen zur Nachweispflicht eines Masernschutzes in bestimmten Einrichtungen, 22.11.2022 [4] Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege Berlin: Masern: Berliner Impfbeirat veröffentlicht Empfehlungen zum Umgang mit Infektionen, Pressemitteilung, 14.03.2024
https://www.berlin.de/sen/wgp/presse/2024/pressemitteilung.1427558.php
[5] World Health Organization: Measles – European Region, Disease Outbreak News, 06.05.2019https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2019-DON140#cms
[6] World Health Organization. Regional Office for Europe: Guidance on vaccination and prevention of vaccine-preventable disease outbreaks for countries hosting refugees from Ukraine, April 2022https://iris.who.int/handle/10665/353408
[7] Robert Koch-Institut: Epidemiologie der Masern in Deutschland, Epidemiologisches Bulletin 15-2024, 11.04.2024https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/15_24.pdf