Impfungen in Schulen sollen die HPV-Impfraten in die Höhe treiben

Die erste Forderung des neu gewählten Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (STIKO) Prof. Dr. Klaus Überla richtet sich direkt an alle Familien mit schulpflichtigen Kindern. Dutzende Medien veröffentlichten am 24. März 2024 folgende Aussagen, die Überla in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe getätigt hat:[1]

Schulen sollen zukünftig eine stärkere Rolle erhalten, um die Zahl der Impfungen gegen Humane Papillomviren (HPV) in Deutschland deutlich zu steigern. Überla möchte so den Forderungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachkommen.[2] Die Strategie der WHO sieht vor, dass bis zum Jahr 2030 eine HPV-Impfrate bei 15-jährigen Mädchen von mindestens 90% erreicht werden soll. Auch eine gleichzeitige Erhöhung der HPV-Impfrate bei 15-jährigen Jungen soll so erzielt werden. Aktuell beträgt hierzulande die HPV-Impfrate bei Mädchen im Alter von 15 Jahren lediglich 54%, bei Jungen im Alter von 15 Jahren sogar nur 27%.

Überla verweist in diesem Zuge auf Schulimpfungen in anderen Ländern, die zu besseren HPV-Impfraten geführt haben. Näher benannt werden diese Länder in den Medienberichten allerdings nicht.

Zuletzt ausführlich bewertet wurde die Möglichkeit von Schulimpfprogrammen zur Steigerung von HPV-Impfraten durch das Robert Koch-Institut (RKI) im Mai 2022.[3] Dort finden sich ebenfalls Verweise auf Schulimpfungen anderer Länder, die jedoch weniger positiv ausfallen:

Erfahrungen aus Österreich zeigen, dass die HPV-Impfrate trotz flächendeckender Schulimpfprogramme unter 50% liegt und damit in etwa der deutschen Impfrate entspricht. Laut RKI eignet sich Österreich aufgrund des gleichen Kulturraums und ähnlicher gesundheitspolitischer Strukturen besser als Vergleichsland als Länder in Skandinavien oder Großbritannien. Anders als in Deutschland bestehen in Österreich schon seit 20 Jahren unterschiedliche Impfprogramme in Schulen, seit nun schon 10 Jahren ergänzt um HPV-Impfungen in Schulen.

In Deutschland wurden in den Jahren 2015 (Landkreis Bergstraße, Hessen) und 2019 (Leipzig, Sachsen) zwei Modellprojekte zu HPV-Schulimpfungen gestartet. Die Ergebnisse zeigen, dass in diesen Projekten vor allem die Mädchen und ihre Eltern erreicht wurden, die „einer HPV-Impfung bereits positiv gegenüberstanden“. Insgesamt wurden durch Schulimpfungen die Impfungen in einem früheren Alter durchgeführt, „es wurden jedoch keine oder wenige zusätzliche Mädchen und deren Eltern erreicht.“ Das Fazit dieser Auswertung liest sich dementsprechend nüchtern: „Basierend auf diesen zum jetzigen Zeitpunkt vorliegenden Daten erscheint es zumindest fraglich, ob flächendeckende Schulimpfprogramme in Deutschland eine Lösung zur Steigerung der HPV-Impfquoten darstellen.“[3]

Auf welcher Grundlage sich der STIKO-Vorsitzende vor diesem Hintergrund nun so vehement für HPV-Impfungen in Schulen ausspricht, bleibt offen. Denn ob und welche Daten zu Schulimpfungen zwischenzeitlich erhoben oder ausgewertet wurden, ist bislang nicht veröffentlicht.

Grundsätzlich gelten Impfungen in Schulen als niederschwellige Impfangebote. Gestressten Eltern sollen zusätzliche Arzttermine erspart werden. Das Prozedere einer Impfung soll möglichst rasch und unkompliziert ablaufen. Da in schulischer Umgebung in der Regel keine Eltern anwesend sind, ist zweifelhaft, ob vor einer Impfung jeweils die ordentliche Untersuchung des zu impfenden Kindes, die zwingende Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen und die verpflichtende Aufklärung und Zustimmung der Eltern erfolgt.

Was durch Impfungen in Schulen zweifellos erreicht wird, ist ein bestimmtes Maß an Gruppenzwang. Grundschüler und Teenager der 3. bis 6. Klassen empfinden erfahrungsgemäß einen immensen Druck, sich in einer Gruppe möglichst konform zu verhalten. In Anwesenheit ihrer “peer group” ist es für Kinder umso schwieriger, bei auffordernden Impfterminen in der Schule nicht dabei zu sein.

Für Eltern wiederum geht die Institution Schule bei bestehender Schulpflicht grundsätzlich mit einer Reihe von Verpflichtungen einher (Pflicht zur Teilnahme an PISA-Testungen, Pflicht zur Teilnahme an Ausflügen, Pflicht zur Teilnahme an Schulzahnarzt-Terminen usw.). Es ist daher gut möglich, dass ein Teil der Eltern Schulimpfungen nicht nur als Angebot, sondern als eine weitere Verpflichtung wahrnehmen wird.

Überla sollte in seiner Position als STIKO-Vorsitzender dringend mit Fakten zu HPV-Infektionen und HPV-Impfstoffen argumentieren, statt sich eines derartigen psychologischen Drucks auf Minderjährige und ihre Eltern zu bedienen. 


[1] DER SPIEGEL: Stiko-Chef spricht sich für HPV-Impfung in Schulen aus, 24.03.2024 

https://www.spiegel.de/gesundheit/hpv-impfung-gegen-krebs-stiko-chef-spricht-sich-fuer-impfungen-in-schulen-aus-a-a370aecc-9601-41f9-a4b0-173d99b8a1f9

[2] World Health Organization: Global strategy to accelerate the elimination of cervical cancer as a public health problem, 17.11.2020 

https://www.who.int/publications/i/item/9789240014107

[3] Robert Koch-Institut: Schulimpfprogramme als Lösung zur Steigerung der HPV-Impfquoten in Deutschland? – Entwicklung der Impfquoten in einer hessischen Modellregion mit Schulimpfprogramm, Einfluss von Schulimpfprogrammen auf die HPV-Impfquote, Epidemiologisches Bulletin 20/2022, 19.05.2022 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/20_22.pdf?__blob=publicationFile

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