STIKO empfiehlt Meningokokken-Impfung trotz Bedenken 

Seit Januar 2024 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) Meningokokken B-Impfungen für alle Kinder ab zwei Monaten. Die Impfempfehlung begründet die STIKO mit neuen Veröffentlichungen. Nahezu zeitgleich kamen Studienergebnisse heraus, die eine Erklärung für den Plötzlichen Kindstod bieten könnten. Gemeinsamer Nenner dieser beiden Themenbereiche? Fieberkrämpfe. 

Im Jahr 2013 wurde mit „Bexsero“ der erste Meningokokken-Impfstoff der Serogruppe B in Europa zugelassen. 2017 folgte mit „Trumenba“ ein weiterer Meningokokken B-Impfstoff. Davor waren nur Impfstoffe der Serogruppen A, C, W und Y erhältlich. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich die deutsche STIKO regelmäßig mit den zur Verfügung stehenden Daten zu Meningokokken B-Erkrankungen und Meningokokken B-Impfungen. In den Jahren 2013, 2014, 2015 und dann wieder in 2017 hat die STIKO ihre Stellungnahmen zur Anwendung von „Bexsero“ und „Trumenba veröffentlicht.[1][2][3][4]

In diesem Zeitraum hat sich die STIKO durchweg gegen eine Impfempfehlung für alle Kinder ausgesprochen. Ergänzt um den Hinweis, dass Meningokokken B-Impfungen lediglich für Personen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung sinnvoll sein können. Sowohl auf der Nutzen- als auch auf der Risiko-Seite sah die STIKO in all ihren Abwägungen schwerwiegende Gründe, die gegen eine allgemeine Impfempfehlung sprachen.

Unklare Wirksamkeit. Kein Herdenschutz. 

Das war zum einen die unklare Datenlage zu entscheidenden Punkten der Wirksamkeit bei gesunden Kindern, aber auch bei Risikopatienten mit chronischen Vorerkrankungen. Das waren zum anderen Ungewissheiten darüber, zu welchem Prozentsatz die Impfungen die in Deutschland zirkulierenden Meningokokken B-Stämme überhaupt passend abdecken würden. Auch für einen erhofften Herdeneffekt durch Meningokokken B-Impfungen von Kindern und Jugendlichen lagen keine Belege vor.  

All diese kritischen Aspekte finden sich erneut in der aktuellen STIKO-Veröffentlichung: [5] 

  • Die Beurteilung der Impfwirksamkeit basiert auf wenig aussagekräftigen Studien, die von der STIKO wegen ihrer Fragestellungen, ihrer Methodik und/oder ihrer Ergebnisse bemängelt werden. 
  • Eine Abdeckung der zirkulierenden Meningokokken B-Stämme wird durch die Impfstoffe lediglich zu rund 70% erreicht. 
  • Weder die Infektion noch die Weitergabe der Meningokokken wird durch die Impfungen verhindert. Es hat sich bestätigt, dass die Impfungen keinerlei Herdenschutz erzeugen. 

Schlechte Verträglichkeit. Gefahr schwerer Nebenwirkungen. 

Die Meningokokken B-Impfungen werden in allen Stellungnahmen der STIKO als sehr reaktogen beschrieben, d.h. ein auffallend hoher Anteil der geimpften Kinder und Jugendlichen klagt über unmittelbare Impfreaktionen. Auch die unklaren Risiken von anaphylaktischen Schocks, Krämpfen, Fieberkrämpfen, dem Kawasaki-Syndrom (Entzündungen der Blutgefäße), dem Guillain-Barré-Syndrom (Entzündungen des Nervensystems) sowie einer akuten Gehirnentzündung (Enzephalomyelitis) haben die STIKO zuvor jeweils davon abgehalten, eine allgemeine Impfempfehlung auszusprechen.[6]

Auch auf diese Aspekte wird in den neuesten Begründungen der STIKO eingegangen: [5]

  • Der Impfstoff „Bexsero“ für Säuglinge ab zwei Monaten hat eine sehr hohe Reaktogenität. Insbesondere Fieber tritt nach jeder der drei Impfungen einer Impfserie häufig auf.
  • Um das zu erwartende Fieber und die zu erwartenden lokalen oder systemischen Schmerzen möglichst zu lindern, empfiehlt die STIKO allen Kindern zeitgleich mit den Meningokokken-Impfungen prophylaktische Gaben von Fiebersenkern und Schmerzmitteln (Paracetamol). So sollen die Kinder über mindestens 24 Stunden hinweg mindestens drei Gaben dieses Medikaments erhalten.
  • Krampfanfälle und das Kawasaki-Syndrom werden weiterhin als Impfkomplikationen des Impfstoffes „Bexsero“ genannt („unerwünschte Ereignisse von besonderem Interesse“). Fieberkrämpfe werden gar als schwere Impfkomplikation gelistet („schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis“).
  • Zu den Risiken der Entwicklung eines Guillain-Barré-Syndroms oder einer akuten Gehirnentzündung (Enzephalomyelitis) liegen der STIKO weiterhin keine Daten vor.

Was also hat sich geändert? Zu den entscheidenden Aspekten der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Impfungen liegen wenig neue Erkenntnisse vor. Keiner der oben gelisteten Punkte kann durch wissenschaftlich belastbare Daten tatsächlich neu bewertet werden.

Zudem bestätigt die STIKO, dass Erkrankungen mit Meningokokken B seit Jahren eine abnehmende Tendenz zeigen und es „bisher kein Anzeichen für einen zukünftigen Wiederanstieg“ gibt.[7] Es verwundert, dass sich die Abwägungen zu einer Impfempfehlung zwischen 2014 und 2024 derart ähneln, die Entscheidung nun aber gänzlich anders ausfällt – und das, obwohl die Krankheitslast kontinuierlich abnimmt und den Säuglingen mit den Impfungen sogar zusätzliche Medikamente verabreicht werden müssen.

Modellierung einer Impfstrategie 

Zwischen den letzten beiden Abwägungen der STIKO in 2017 und 2024 ist eine umfangreiche Modellierung zur Einführung einer Meningokokken B-Impfstrategie in Deutschland veröffentlich worden.[8] Berechnet wurde mit diesem Modell, dass die Einführung der Meningokokken B-Impfungen im Säuglingsalter den größten Effekt für die öffentliche Gesundheit hätte. Ausgerechnet auf diese modellierten Ergebnisse aus dem Jahr 2022 bezieht sich die STIKO maßgeblich. Und das, obwohl die Modellierung durch den Hersteller des Impfstoffes „Bexsero“ – GlaxoSmithKline – gesponsort wurde. Darüber hinaus sind alle Autoren der Studie entweder Angestellte von GlaxoSmithKline oder erhalten Zuschüsse dieses Unternehmens.

Wie von einer Hersteller-finanzierten Modellierung zu erwarten, wird auf die Risiken des Produktes kaum eingegangen. Als Nebenwirkungen werden lediglich milde bis moderate Reaktionen erwähnt. Ausgerechnet auf eine ebenfalls Hersteller-finanzierte Zulassungsstudie wird dabei als Quelle verwiesen: Zu “4CMenB” von Novartis, dem Vorläufer von „Bexsero“ bevor das Produkt von GlaxoSmithKline übernommen wurde.[9]

Wie von der STIKO ausgeführt, enthält auch die Modellierung Vorgaben zu gleichzeitigen Impfungen. Wegen des bereits „dichten Impfkalenders im ersten Lebensjahr“ [4] muss zwischen mehreren Impfungen zu einem Arzttermin oder einer höheren Anzahl von Impfterminen nacheinander abgewogen werden. Da zusätzliche Arzttermine für viele Eltern als ein Hindernis empfunden werden, sprechen sich der Hersteller wie die STIKO für zeitgleiche Impfungen aus, damit keinerlei Impfungen aufgeschoben werden.

Entsprechend des STIKO Impfkalenders umfasst ein Impftermin eines zweimonatigen Säuglings mittlerweile neun Impfungen: drei Injektionen (Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Hib, Polio und Hepatitis B als 6fach-Impfung und Pneumokokken und Meningokokken B) sowie eine orale Schluckimpfung (Rotaviren).[10]

Mit der zeitgleichen Impfung mehrerer Impfstoffe geht jedoch ein nochmals erhöhtes Risiko für Fieber einher.[4] Eine besorgniserregende Tatsache, vor allem da die meisten Studien keine Erfassungen eines Fiebers über 39 Grad enthalten und in den bisherigen Studien selten zwischen Krämpfen und Fieberkrämpfen unterschieden wird. Eine Untererfassung der Impfreaktion „hohes Fieber“ und der schweren Impfkomplikation „Fieberkrampf“ ist vor dem Hintergrund anzunehmen.

Fatale Fieberkrämpfe 

Die meisten Eltern, die einen Fieberkrampf ihres Kindes miterlebt haben, äußern sich extrem erschrocken und besorgt über diese Erfahrung. Sie fürchten eine Wiederholung der Krämpfe und bleibende Schäden für ihr Kind. Bei einem Fieberkrampf handelt es sich um eine unkontrollierte elektrische Entladung der Nervenstellen im Gehirn bei ansteigendem Fieber. Bei einem solchen Krampfanfall verliert das Kind in leichten Fällen für bis zu 15 Minuten das Bewusstsein, in schweren Fällen sogar deutlich länger. Fieberkrämpfe zählen damit zu den häufigsten Notfällen bei Säuglingen und Kleinkindern. Die genauen Ursachen für das Auftreten eines Fieberkrampfes gelten immer noch als ungeklärt.

Seit Jahrzehnten beschwichtigen Kinderärzte und Gesundheitsbehörden, dass es sich bei Fieberkrämpfen lediglich um ungefährliche Ereignisse handelt. Mit der Veröffentlichung einer neuen Studie zu den Ursachen des Plötzlichen Kindstod können derartige Aussagen zu „harmlosen“ und „folgenlosen“ Fieberkrämpfen so nicht weiter bestehen bleiben.[11] Für die Studie wurden Videoüberwachungen ausgewertet, die den Forschern nach Fällen von Plötzlichem Kindstod in den USA zur Verfügung gestellt wurden. Demnach zeigte rund ein Drittel der Kinder wenige Minuten vor ihrem Tod Anzeichen von Fieberkrämpfen. Dieser Anteil ist zehnmal höher als für Kinder im Alter zwischen 0 und 4 Jahren üblich.[12]

Die Autoren der Studie vermuten nun, dass Fieberkrämpfe viel häufiger auftreten, als von Eltern und Kinderärzten beobachtet wird. Auch gehen sie davon aus, dass Fieberkrämpfe für zumindest einen Teil der Fälle von Plötzlichem Kindstod verantwortlich sind, gerade wenn die üblichen Untersuchungen keine Hinweise auf eine Todesursache geben können. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass Fieberkrämpfe “auch nicht durch konsequente Fiebersenkung” verhindert werden können.[13] Somit kann eine prophylaktische und fortlaufende Fiebersenkung entsprechend der STIKO-Empfehlung sicherlich das durch die Impfung ausgelöstes Fieber medikamentös unterdrücken, mögliche Fieberkrämpfe jedoch nicht unterbinden.

Da in der Produktinformation des Impfstoffes „Bexsero“ Fieberkrämpfe bei Säuglingen und Kindern als Nebenwirkungen gelistet sind [14], von einer Untererfassung der Fieberkrämpfe in bisherigen Studien ausgegangen werden muss und ebendiese Fieberkrämpfe als eine Ursache für den Plötzlichen Kindstod identifiziert wurden, ist zu befürchten, dass die neueste STIKO-Impfempfehlung zu Meningokokken B-Impfungen für alle Säuglinge mit schwerwiegenden Konsequenzen für einige Familien einhergehen wird.


[1] Robert Koch-Institut: STIKO: Stellungnahme zum neuen Meningokokken-B-Impfstoff, Epidemiologisches Bulletin 49/2013, 09.12.2013 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2013/Ausgaben/49_13.pdf?__blob=publicationFile

[2] Robert Koch-Institut: Aktualisierte Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) Stand der Bewertung des neuen Meningokokken-B-Impfstoffs Bexsero, Epidemiologisches Bulletin 36/2014, 08.09.2014 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2014/Ausgaben/36_14.pdf?__blob=publicationFile

[3] Robert Koch-Institut: Wissenschaftliche Begründung. Aktualisierung der Meningokokken-Impfempfehlung: Anwendung des Meningokokken-B-Impfstoffs bei Personen mit erhöhtem Risiko für Meningokokken-Erkrankungen, Epidemiologisches Bulletin 37/2015, 14.09.2015 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/37_15.pdf?__blob=publicationFile

[4] Robert Koch-Institut: Aktualisierte Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) Stand der Bewertung einer Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe B, Stand: 21.11.2017, 18.01.2018 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/03_18.pdf?__blob=publicationFile

[5] Robert Koch-Institut: STIKO: Standardimpfung von Säuglingen gegen Meningokokken der Serogruppe B, Epidemiologisches Bulletin 3/2024, 18.01.2024 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/03_24.pdf?__blob=publicationFile

[6] Robert Koch-Institut: Anhang 1: Auszug aus Zulassungsstudien von Immunogenitätsdaten nach Impfung mit 4CMenB (Bexsero®) und Anhang 2: Bewertung der Reaktogenität und Sicherheit des 4CMenB-Impfstoffs, 14.09.2015 

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/37_15_Anhang.pdf?__blob=publicationFile

[7] Robert Koch-Institut: Protokoll der 106. Sitzung der Ständigen Impfkommission (STIKO), Datum der Sitzung: 06. und 07.11.2023, 07.03.2024 

https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Protokolle/Sitzung_106.pdf?__blob=publicationFile

[8] Infectious Diseases and Therapy: Public Health Impact and Cost-Effectiveness Analysis of Routine Infant 4CMenB Vaccination in Germany to Prevent Serogroup B Invasive Meningococcal Disease, 13.04.2022 

https://link.springer.com/article/10.1007/s40121-021-00573-w#Ack1

[9] The Lancet: Immunogenicity and safety of an investigational multicomponent, recombinant, meningococcal serogroup B vaccine (4CMenB) administered concomitantly with routine infant and child vaccinations: results of two randomised trials, 09.03.2013 

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(12)61961-8/abstract

[10] Robert Koch-Institut: Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene 2024, Epidemiologisches Bulletin 4/2024, 25.01.2024 

https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Aktuelles/Impfkalender.pdf?__blob=publicationFile

[11] Neurology: Video Analyses of Sudden Unexplained Deaths in Toddlers, 04.01.2024 

https://www.neurology.org/doi/10.1212/WNL.0000000000208038

[12] Ärzteblatt: Krampfanfälle als häufige Ursache des plötzlichen Kindstods identifiziert, 08.01.2024 

https://www.aerzteblatt.de/fachgebiete/neurologie/news?nid=148434&aid=

[13] Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V.: Mein Kind hatte einen Fieberkrampf, Elterninformation der DGKJ, 2018 

https://www.dgkj.de/fileadmin/user_upload/images/Elternseite/Elterninformationen/DGKJ_Fieberkrampf_18.pdf

[14] European Medicines Agency: Produktinformation Bexsero, 23.05.2023 

https://www.ema.europa.eu/de/documents/product-information/bexsero-epar-product-information_de.pdf

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