Dem Präsidenten des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Michael Hubmann, gehen die aktuellen Impfempfehlungen in Deutschland nicht weit genug: Er wünscht sich eine Grippe-Impfempfehlung für alle Kinder ab 6 Monaten.[1] Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Grippe-Impfungen weiterhin nur für Kinder, die wegen bestimmter Grunderkrankungen möglicherweise eine schwere Form dieser Viruserkrankung durchmachen würden. Die STIKO betont nach wie vor, dass der Fokus der Grippe-Impfempfehlungen auf den „Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe“ liegt.[2] Für gesunde Kinder verläuft eine echte Grippe (Influenza) in der Regel ohne schwerwiegende Komplikationen.
Nicht verwunderlich ist, dass seitens der Kinderärzte ein hohes Interesse an Grippe-Impfungen für ihre Patienten ab dem Säuglingsalter besteht. Zählen die jährlich zu wiederholenden Grippe-Impfungen für die Praxen doch mit zu den lukrativsten Impfungen.
Nicht zu akzeptieren ist vor allem Hubmanns Begründung, um Grippe-Impfungen schon für die Kleinsten zu fordern: „Auch gesunde Kinder seien sehr oft Überträger der Grippeviren. Oft komme es vor, dass ein infiziertes Enkelkind nur leicht erkranke, seine Großeltern aber steckten sich bei ihm an und bekämen die gefährliche Influenza.“
Aus der Corona-Krise ist diese Herleitung nur allzu bekannt: Kinder werden als Virenschleudern und lebensgefährliche Bedrohung für ihre Großeltern dargestellt. Aussagen, die sich für COVID-19-Erkrankungen übrigens in keinster Weise bestätigt haben. Und doch wird hier erneut versucht Kinder in der gleichen Art und Weise zu instrumentalisieren. Das Ausspielen einer Gruppe von Menschen – hier Kinder – gegenüber einer anderen Gruppe von Menschen – hier Senioren – ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch juristisch indiskutabel.
Darüber hinaus bieten Influenza-Impfstoffe keinen solchen Fremdschutz, wie er in den Forderungen des BVKJ suggeriert wird. So betont das Robert Koch-Institut (RKI): „Unabhängig von der Art des Impfstoffes kann es auch bei geimpften Personen zu einer Infektion mit Influenzaviren kommen. Häufig verlaufen solche Infektionen bei Geimpften mit milderen Krankheitssymptomen oder völlig unbemerkt. In diesen Fällen können Influenzaviren ausgeschieden und auf Kontaktpersonen übertragen werden.“[3] Gerade Influenza-Impfstoffe fallen seit Jahrzehnten durch besonders geringe und besonders schwankende Wirksamkeiten auf. Nicht selten wird sogar eine negative Effektivität der jährlich neu zusammengesetzten Grippe-Impfungen errechnet – was bedeutet, dass Grippe-geimpfte Menschen eher an Grippe erkranken als Menschen ohne diese Impfungen. [4][5]
Da eben kein Fremdschutz besteht, empfiehlt das RKI bei Influenza-Erkrankungen in Pflegeeinrichtungen bewusst einheitliche Maßnahmen für alle Patienten bzw. Bewohner sowie das Personal – unabhängig von deren Impfstatus. So erhalten auch Influenza-geimpfte Personen antivirale Medikamente, um eine Übertragung von Influenzaviren auf Risikopatienten der Einrichtung zu minimieren.[6]
Wir halten fest: Grippe-geimpfte Enkel bieten keinen Fremdschutz für Oma und Opa. Ganz im Gegenteil kann von den Kindern sogar die Gefahr einer Virus-Übertragung ausgehen, wenn die Kinder mit einem Grippe-Lebendimpfstoff geimpft wurden. Gerade für kleine Kinder wird die Impfung häufig als Nasenspray empfohlen, welches aber besondere Vorsichtsmaßnahmen im Beipackzettel enthält. So betont auch das RKI zu dieser nasalen Grippe-Impfung, dass „in einem Zeitraum von ein bis zwei Wochen nach Impfung die Gefahr der Virus-Übertragung auf stark immungeschwächte Personen“ besteht.[7]
[1] ÄrzteZeitung: BVKJ-Präsident hält Grippeimpfung ab dem Kleinkindalter für sinnvoll, 09.01.2024 [2] Robert Koch-Institut: STIKO: Influenzaimpfungen in der COVID-19-Pandemie, Epidemiologisches Bulletin 32/33-2020, 06.08.2020 [3] Robert Koch-Institut: Können geimpfte Personen andere anstecken?, Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Influenza, Stand 28.09.2023
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/FAQ_Uebersicht.html
[4] Eurosurveillance: Low 2016/17 season vaccine effectiveness against hospitalised influenza A(H3N2) among elderly: awareness warranted for 2017/18 season, 12.10.2017https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2017.22.41.17-00645
[5] Eurosurveillance: Interim 2019/20 influenza vaccine effectiveness: six European studies, September 2019 to January 2020, 12.03.2020https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2020.25.10.2000153
[6] Robert Koch-Institut: Influenza (Teil 1): Erkrankungen durch saisonale Influenzaviren, RKI-Ratgeber, Antivirale Arzneimittel, Stand 19.01.2018https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Influenza_saisonal.html
[7] Robert Koch-Institut: Was ist bei dem Influenza-Lebendimpfstoff zu beachten?, Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Influenza, Stand 18.09.2023https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/FAQ_Uebersicht.html