RSV-Impfungen in der Schwangerschaft – kein Stopp der Zulassungsstudie

Eine Aktualisierung des Artikels vom 29.08.2023 finden Sie am Textende!

Zwei von drei Studien zur Zulassung neuer RSV-Impfstoffe für Schwangere wurden nicht zu Ende geführt. Lediglich die Studie von Pfizer zur Vermarktung seines Produktes RSVpreF läuft noch. Pfizer sichert sich damit einen immensen Wettbewerbsvorteil – möglicherweise zu Lasten der Sicherheit von Mutter und Kind.

Vier Hersteller standen zuletzt in direkter Konkurrenz um den weltweit ersten Impfstoff gegen RSV (Respiratorischen Synzytial-Virus)

Sowohl die Firma GlaxoSmithKline als auch die Firma Pfizer richten sich mit ihrem jeweiligen RSV-Produkt einmal auf die Zielgruppe der über 60-Jährigen und einmal auf die Zielgruppe der Schwangeren. Die Impfung in der Schwangerschaft zielt dabei nicht auf die Mütter selbst ab, sondern auf ihre noch ungeborenen Kinder. Die Babys geimpfter Mütter sollen in den ersten Lebensmonaten vor einer Erkrankung mit RSV geschützt werden, indem das Prinzip des Nestschutzes imitiert wird. Als Nestschutz wird die zeitweise Immunität eines Neugeborenen durch Übertragung mütterlicher Antikörper über die Plazenta bezeichnet.

Auffallend ist, dass ein Nestschutz gegen eine RSV-Erkrankung durch eine zurückliegende RSV-Infektion der Mütter für Neugeborene lediglich in den ersten 4-6 Lebenswochen besteht.[1] Durch eine Impfung in der Schwangerschaft hingegen soll ein Netzschutz von bis zu 6 Monaten, also bis zu 24 Wochen, erreicht werden.[2] Um eine Erhöhung der Antikörper bei der Mutter und bei ihrem Neugeborenen zu erreichen, wurden schwangeren Testpersonen teilweise Impfungen mit, teilweise ohne Aluminiumhydroxid als Wirkverstärker verabreicht. Während mit einem Wirkverstärker die Antikörper im Blut der Mütter durchweg erhöht werden konnten, war dieser Effekt bei den Neugeborenen so nicht zu erreichen. Für die endgültige Zusammensetzung des Impfstoffes haben sich GlaxoSmithKline und Pfizer daher für eine Rezeptur ohne aluminiumhaltige Wirkverstärker entschieden.

Verzerrte Ergebnisse in den Vergleichsgruppen

Interessanterweise haben beide Hersteller Änderungen in den Vergleichsgruppen ihrer Studien vorgenommen, exakt zu dem Zeitpunkt da keine Wirkverstärker im Impfstoff mehr eingesetzt wurden. Wurde den Schwangeren in den Vergleichsgruppen zuvor Kochsalzlösung als Placebo verabreicht, wurde dies verändert hin zu einer Gabe von Mixturen, die im Körper nicht ohne Wirkung bleiben. Das Verabreichen einer Zusammensetzung, die dem Impfstoff ähnlich ist, Wirkverstärker enthält (lyophile match with/without Al(OH)3 bei Pfizer)[3] oder aus bestimmten Stabilisatoren besteht (lyophilized sucrose bei GlaxoSmithKline)[4], entspricht keinem echten Placebo und verzerrt somit die Ergebnisse. In beiden Fällen wird die Placebo-Gruppe schlechter gestellt, wodurch der Unterschied zur Impfstoff-Gruppe nicht mehr so deutlich sichtbar wird. Oder anders ausgedrückt: Der Impfstoff wird durch diese Anpassung im Studiendesign gezielt bessergestellt. Ein Effekt, der im Vergleich zu einer Placebo-Gruppe ausschließlich mit Kochsalzlösung nicht entstehen würde.

Stopp von zwei Zulassungsstudien

Trotz der genannten Anpassungen im Studiendesign wurden bei einer Zwischenauswertung des Impfstoffes von GlaxoSmithKline mehrere Sicherheitsrisiken sichtbar. Die Auffälligkeiten betreffen eine höhere Rate von Frühgeburten und Todesfällen bei Neugeborenen in der Gruppe der Geimpften. Im Februar 2022 wurde die Studie gestoppt, um weitere Auswertungen der Daten zur Sicherheit des Impfstoffes vorzunehmen.[5] Bis heute ist die Studie jedoch nicht wieder aufgenommen worden. Interessant wäre zu erfahren, warum die Studie nach wie vor pausiert, während Pfizer als direkte Konkurrenz im Wettlauf um den ersten RSV-Impfstoff für Schwangere voranprescht. Auch interessant wäre zu wissen, wie das Sicherheitssignal ausfallen würde, würde der Impfstoff im Vergleich zu einem echten Placebo ohne Wirkung getestet.

Noch früher, bereits im Juli 2019, wurde eine Studie mit Schwangeren des Impfstoffherstellers Novavax gestoppt. In diesem Fall wurden die Studien nicht zu Ende geführt, weil ein definiertes Ziel zum Nachweis der Wirksamkeit nicht erreicht wurde.[6] Ganz konkret konnte mit dieser Studie nicht nachgewiesen werden, dass eine Impfung in der Schwangerschaft zu einer Verringerung von RSV-Infektionen bei Neugeborenen in den ersten drei Lebensmonaten führt. Verwunderlich ist das Nicht-Erreichen der erhofften Wirksamkeit eines RSV-Impfstoffes allerdings nicht. Wurde doch im Zusammenhang mit der wohl bekanntesten Atemwegserkrankung der letzten Jahre (COVID-19) darauf hingewiesen, dass Impfungen gegen Atemwegserkrankungen nicht zu ausreichender Schleimhautimmunität führen, um Atemwegsinfekte tatsächlich zu verhindern.[7] Mit dieser Studie von Novavax zeigt sich, dass die Verhinderung eines RSV-Atemwegsinfekts für die direkt geimpfte Mutter, als auch für das indirekt beteiligte Ungeborene grundsätzlich fragwürdig bleibt. Unabhängig davon wie stark die zirkulierenden Antikörper im Blut der Mutter und des Kindes durch Impfungen erhöht werden können.

Kein Stopp der Pfizer-Studie

Damit führt Pfizer aktuell die einzige Studie eines RSV-Impfstoffes mit schwangeren Testpersonen durch, die bislang nicht gestoppt wurde. Anders als bei Novavax gibt Pfizer eine Wirksamkeit seines Impfstoffes an. Anders als bei GlaxoSmithKline sieht Pfizer in seinen Studien kein Sicherheitsrisiko. Gerade weil der Protein-Impfstoff RSVpreF von Pfizer dem Protein-Impfstoff RSVpreF3 von GlaxoSmithKline in Zusammensetzung und Wirkung überaus ähnlich ist, wurde Kritik am Zulassungsverfahren der Pfizer-Studie laut. Vor dem Hintergrund der vermehrten Frühgeburten und dem Stopp der Studie von GlaxoSmithKline sollten der Hersteller Pfizer sowie die Zulassungsbehörden intensiver und länger alle verfügbaren Daten auswerten. Eine überstürzte Zulassung und mögliche Gefährdungen der Mütter und ihrer Kinder seien zum jetzigen Zeitpunkt dringend zu vermeiden. Auch ein Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) wird in diesem Zusammenhang zitiert, da seine Interpretation der bisher verfügbaren Daten durchaus ein mögliches Sicherheitsrisiko für Frühgeburten auch in der Pfizer-Studie zeigen könnte.[8]

Die Zulassungsstudie von Pfizer wurde nicht gestoppt

… weil sie eine geringere Anzahl an Testpersonen umfasst. Dies hat zur Folge, dass das gleiche Sicherheitsrisiko, was in der vergleichbaren Studie von GlaxoSmithKline mit einer deutlich höheren Anzahl an Probanden aufgefallen ist, hier nicht signifikant erscheint. Es drängt sich damit die Vermutung auf, dass diese Schäden auch sichtbar würden, würde die Studie in einem größeren und längeren Umfang angesetzt. Ab Zulassung und breiter Verwendung dieses Impfstoffes könnte das Problem vermehrter Frühgeburten dann Realität werden.

… weil die Vergleichsgruppe eine Impfstoff-ähnliche Substanz mit Wirkverstärkern erhalten hat. Die Ergebnisse auch im Bereich Impfstoffsicherheit sind verzerrt, weil in beiden Gruppen Wirksubstanzen verimpft wurden. Eine Häufung möglicher Nebenwirkungen wird somit unter Studienbedingungen verschleiert.

… obwohl eine Reihe von Nebenwirkungen erfasst wurden, die das Risiko-Nutzen-Verhältnis in Frage stellen sollten. Um bei den Neugeborenen sieben Fälle von schweren RSV-Erkrankungen zu verhindern, wurden durch die Impfungen sieben schwere Nebenwirkungen bei den Müttern, vier schwere Nebenwirkungen bei den Kindern, zwei lebensbedrohliche Reaktionen bei den Müttern, neun Frühgeburten und sechs Geburten mit zu niedrigem Geburtsgewicht verursacht.

… obwohl nur eines von zwei primären Studienzielen erreicht wurde. Das nicht erreichte Studienziel wird definiert als eine Reduzierung von Arztbesuchen wegen Atemwegserkrankungen mit RSV-Bezug in den ersten drei Lebensmonaten (medically attended lower respiratory tract illness). Das entspricht, bei Babys, bei unerfahrenen Eltern oder bei Teilnahme an einer Studie, einem Termin beim Kinderarzt wegen Husten oder Schnupfen. Damit wird eine normale Kinderarzt-Thematik abgebildet, die keinen Bezug zu schweren Erkrankungen oder schweren Verläufen hat. Es drängt sich daher die Frage auf, was entsprechend der Studie bei Kindern in den ersten Lebensmonaten tatsächlich verhindert werden soll? Offensichtlich auch leichter Husten oder Schnupfen. Womit die Notwendigkeit von RSV-Impfungen für gesund und zeitgerecht geborene Babys grundsätzlich nochmal in Frage gestellt werden sollte.

… obwohl alle bisherigen Anträge auf Zulassung lediglich auf Zwischenergebnissen der noch laufenden Studien basieren. Einige Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit sollen erst nach der Zulassung an die Zulassungsbehörden geliefert werden. Ein Vorgehen, wie es bei den COVID-19-Impfstoffen aus Zeitgründen praktiziert wurde – anders als bei Coronaviren greift hier die Begründung einer “Pandemie” allerdings nicht. Ein verkürztes Verfahren im Stil der COVID-19-Impfstoffe sollte keinesfalls die Regel werden.

Riskante Einflüsse in der Schwangerschaft  

Wird es in naher Zukunft zur Zulassung und Empfehlung von RSV-Impfungen in der Schwangerschaft kommen, wird damit voraussichtlich eine weitere Impfung in die routinemäßige Schwangerschaftsvorsorge aufgenommen. Mit den aktuellen STIKO-Empfehlungen zu Impfungen in der Schwangerschaft, die bereits Grippe-, Keuchhusten- und COVID-19-Impfungen umfassen, könnte eine RSV-Impfung die vierte empfohlene Impfung in der Schwangerschaft werden. Das Risiko von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mehrfacher und unterschiedlicher Impfungen in der äußerst sensiblen Phase einer Schwangerschaft und Embryonalentwicklung ist nicht absehbar und bislang auch kein Teil untersuchender Studien. 

Für Menschen über 60 Jahre wurden in den USA kürzlich die RSV-Impfstoffe „Arexvy“ von GlaxoSmithKline und “Abrysvo” von Pfizer zugelassen.[9][10] Mit einem Impfstoff für Schwangere steht Pfizer mit seinen eigenen Angaben zu Wirksamkeit und Sicherheit ganz vorne. In den USA ist das Zulassungsverfahren durch die FDA (U.S. Food & Drug Administration) so weit fortgeschritten, dass dort mit einer Zulassung im August 2023 gerechnet wird. Wann auch die EMA (Europäische Arzneimittel Agentur) über die Zulassung von RSVpreF von Pfizer in der Schwangerschaft entscheiden wird, ist noch offen.  


AKTUALISIERUNG VOM 29.08.2023

Wie erwartet wurde RSVpreF für Schwangere in den USA durch die FDA noch im August zugelassen, ohne dass es zu weiteren Forderungen zur Prüfung bisheriger Sicherheitsbedenken kam. Prompt drei Tage später wurde der Impfstoff für Schwangere auch in Europa durch die EMA zugelassen. Dieser Impfstoff wird unter dem Produktnamen Abrysvo vermarktet. Der Hersteller Pfizer kündigt an, dass der Impfstoff bereits für die RSV-Saison 2023/2024 zur Verfügung steht, da er vorproduziert wurde. Saisonal treten RSV-Infektionen verstärkt zwischen November und April auf, weshalb voraussichtlich Ende September/Anfang Oktober 2023 die Impfstoffe geliefert werden. Es bleibt abzuwarten, wie die STIKO die unvollständigen Studienergebnisse und bisherigen Bedenken um eine erhöhte Gefahr von Frühgeburten bewerten wird.

Pfizer: U.S. FDA Approves ABRYSVO™, Pfizer’s Vaccine for the Prevention of Respiratory Syncytial Virus (RSV) in Infants Through Active Immunization of Pregnant Individuals 32-36 Weeks of Gestational Age, 21.08.2023
https://www.pfizer.com/news/press-release/press-release-detail/us-fda-approves-abrysvotm-pfizers-vaccine-prevention-0

Pfizer: European Commission Approves Pfizer’s ABRYSVO™ to Help Protect Infants through Maternal Immunization and Older Adults from RSV, 24.08.2023
https://www.pfizer.com/news/press-release/press-release-detail/european-commission-approves-pfizers-abrysvotm-help-protect


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Quellen des Ursprungsartikels:

[1] Robert Koch-Institut: RKI-Ratgeber: Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen (RSV), 06.02.2018

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_RSV.html

[2] The New England Journal of Medicine: Bivalent Prefusion F Vaccine in Pregnancy to Prevent RSV Illness in Infants, 20.04.2023

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2216480

[3] The New England Journal of Medicine: Protocol for Bivalent Prefusion F Vaccine in Pregnancy to Prevent RSV Illness in Infants, 20.04.2023

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2216480

[4] Clinical Trials: A Phase III Double-blind Study to Assess Safety and Efficacy of an RSV Maternal Unadjuvanted Vaccine, in Pregnant Women and Infants Born to Vaccinated Mothers (GRACE), abgerufen am 20.05.2023

https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04605159

[5] GlaxoSmithKline: GSK provides update on phase III RSV maternal vaccine candidate programme, 18.02.2022

https://www.gsk.com/en-gb/media/press-releases/gsk-provides-update-on-phase-iii-rsv-maternal-vaccine-candidate-programme

[6] The New England Journal of Medicine: Respiratory Syncytial Virus Vaccination during Pregnancy and Effects in Infants, 30.07.2020

https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1908380

[7] Cell Host & Microbe: Rethinking next-generation vaccines for coronaviruses, influenzaviruses, and other respiratory viruses, 11.01.2023

https://www.cell.com/cell-host-microbe/fulltext/S1931-3128(22)00572-8

[8] British Medical Journal: Maternal RSV vaccine: Further analysis is urged on preterm births, 10.05.2023

https://www.bmj.com/content/381/bmj.p1021

[9] U.S. Food & Drug Administration: FDA Approves First Respiratory Syncytial Virus (RSV) Vaccine. Arexvy Approved for Individuals 60 Years of Age and Older, 03.05.2023

https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-first-respiratory-syncytial-virus-rsv-vaccine

[10] Pfizer: U.S. FDA Approves ABRYSVO™, Pfizer’s Vaccine for the Prevention of Respiratory Syncytial Virus (RSV) in Older Adults, 31.05.2023

https://www.pfizer.com/news/press-release/press-release-detail/us-fda-approves-abrysvotm-pfizers-vaccine-prevention

[11] U.S. Food & Drug Administration: Respiratory Syncytial Virus stabilized bivalent prefusion F subunit vaccine (RSVpreF/Abrysvo), Briefing document for vaccines and related biological products advisory committee meeting, 18.05.2023

https://www.fda.gov/media/168186/download

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