RSV – Lücken füllen mit passiven Impfungen

Noch ist keine RSV (Respiratorische Synzytial-Virus)-Impfung für Kinder erhältlich. Bislang wird ausschließlich Frühgeborenen und nicht gesund geborenen Babys eine medikamentöse RSV-Prophylaxe auf Basis von Antikörpern empfohlen. Mit erhöhten RSV-Infektionszahlen und neuen RSV-Produkten richtet sich der Fokus nun jedoch auf weitere Zielgruppen.

Als Folge der Corona-Maßnahmen kam es zu Veränderungen im typischen Verlauf der RSV-Saison, die sich tendenziell über den Zeitraum zwischen November und April erstreckt. Sowohl die Saison 2021/2022 als auch die Saison 2022/2023 begann früher und umfasste höhere Erkrankungszahlen als in den Vorjahren.[1] Alarmiert durch diese vermehrten RSV-Erkrankungen bei Kindern, forderten Politik und Gesundheitsbehörden eine umfassendere Erhebung der Fallzahlen. Um die Erfassung durch Kliniken, Praxen und Labore unverzüglich zu sichern, wurde überraschend eine Meldepflicht für RSV eingeführt.

Säuglinge als neue Zielgruppe für RSV-Impfstoffe

Einige Teile der Begründung im Gesetzesentwurf zur RSV-Meldepflicht lassen aufhorchen: So gewinne RSV „wegen des Fortschritts in der Impfstoff- und Prophylaxe-Entwicklung zunehmend an Bedeutung bei der internationalen Gesundheitsüberwachung“. Und: „Die Zulassung von RSV-Impfstoffen auch in Deutschland ist absehbar.“[2]. Offensichtlich werden hier bereits Bedingungen geschaffen, die die Einführung neuer Impfstoffe vorbereiten. Auch RSV soll nach vielen Jahrzehnten holpriger Impfstoffentwicklung endlich „impfbar“ werden.

Erst kürzlich zugelassen wurden RSV-Impfstoffe für Menschen über 65 Jahren sowie für Schwangere.  

Mit der Impfung der Mütter soll bei den Neugeborenen über einige Monate hinweg ein Schutz vor einer RSV-Erkrankung erzeugt werden. Weitergedacht würden die Säuglinge anschließend eigene RSV-Impfungen erhalten. Impfstoffe für diese Altersgruppen befinden sich jedoch erst in der Entwicklung.

Antikörper für Säuglinge füllen die Lücke aus

Bis Impfstoffe auch für Säuglinge zur Verfügung stehen, soll offensichtlich die Verabreichung von Antikörpern ausgeweitet werden. Gemeinhin wird dies als RSV-Prophylaxe bezeichnet. Die Ständige Impf-Kommission (STIKO) hat diese „RSV-Prophylaxe für Säuglinge“ bereits zu einem ihrer aktuellen Themen benannt.[3] Durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte, Krankenkassen und Patientenvertretungen wurde schon ein Stellungnahmeverfahren zu einem sogenannten Therapiehinweis eingeleitet, wonach die Krankenkassen monoklonale Antikörper in der ersten RSV-Saison finanzieren müssen. Um eine Verordnung von monoklonalen Antikörpern auch für Kinder zu ermöglichen, die nicht zu den bisher definierten Risikogruppen zählen, soll die Arzneimittel-Richtlinie ergänzt werden.[4]

Die Hinweise sind deutlich, dass in naher Zukunft nicht mehr ausschließlich Kinder mit schweren Vorerkrankungen RSV-Antikörper erhalten sollen. Bisher zählten zu den Risikogruppen für RSV vor allem Frühgeborene vor der 34. Schwangerschaftswoche, Säuglinge mit angeborenen Herzfehlern, angeborenen Atemwegsanomalien oder schweren Immundefekten.[5] Diese erhielten bislang Palivizumab (Produktname Synagis) als fünf Injektionen von monoklonalen Antikörpern, monatlich über die gesamte RSV-Saison hinweg. Noch in 2022 wurde Nirsevimab (Produktname Beyfortus) als einmalige Injektion für alle Säuglinge und Kinder zugelassen.[6] Beworben wird diese bereits jetzt als „Einzeldosis für die breite Bevölkerungsgruppe der Säuglinge“[7], einschließlich aller gesund geborener Babys. Ab September 2023 soll das Produkt erhältlich sein.

Fremd-Eiweiße als Injektion

Auch als passive Impfung bezeichnet, handelt es sich bei den monoklonalen Antikörpern um eine medikamentöse Prophylaxe, die wie eine Impfung intramuskulär injiziert wird. Der Wirkmechanismus ist jedoch ein anderer als bei der aktiven Impfung:

Bei Antikörpern handelt es sich um Eiweiße, die durch den Kontakt mit einem Erreger in Blutplasma-Zellen produziert werden. Dabei bringen unterschiedliche Plasmazellen unterschiedliche Antikörper hervor. Werden Antikörper hingegen für medizinische Zwecke im Labor hergestellt, ist meist eine einzige, hochspezifische Art eines Antikörpers erwünscht. Um diese zu erhalten, werden von einem einzigen Zellklon baugleiche – d.h. monoklonale – Antikörper in großen Mengen produziert. Die injizierten Antikörper sollen sich an einen konkreten Bereich auf der Oberfläche der RS-Viren anlagern, dem sogenannten „F-Protein“, sobald sich diese Erreger im Körper befinden. Ein Eindringen der RS-Viren in die Körperzellen soll damit verhindert werden. Letztlich wird mit einer medikamentösen Prophylaxe versucht, den kleinen Ausschnitt der Immunabwehr zu simulieren, der nach der Bildung von Antikörpern abläuft. Während eine aktive Impfung gezielt die Bildung spezifischer, körpereigener Antikörper provoziert, wird bei der Gabe einer passiven Impfung auf die Passgenauigkeit eingebrachter, körperfremder Eiweiße gesetzt.

Auffälligkeiten aus den Studien

Erstaunlicherweise wurde Nirsevimab (Beyfortus), das zur RSV-Prophylaxe für Säuglinge aus klar definierten Risikogruppen verwendet werden soll, primär an gesunden Kindern getestet. In der Produktinformation findet sich die Angabe, dass Säuglinge und Kleinkinder mit chronischen Lungenerkrankungen, angeborenen Herzfehlern oder Immunschwäche von mehreren Studien ausgeschlossen waren.[8] Ausgerechnet in der Studie, die zumindest einige dieser Risikogruppen miteingeschlossen hat, erhielt die Vergleichsgruppe kein Placebo. Sie erhielt Palivizumab (Synagis).[9] Es wurden somit monoklonale Antikörper und monoklonale Antikörper miteinander verglichen. Was zu der schlichten Schlussfolgerung führt, dass sich das Sicherheitsprofil der beiden sehr ähnlichen Produkte ebenfalls ähnelt. Wie die Sicherheit des Produktes für vorerkrankte Kinder im Vergleich zu einem wirkungslosen Placebo zu bewerten wäre, wurde nicht untersucht. Da für die Zulassung von Synagis die Studien zumeist ganz ohne Vergleichsgruppen konzipiert wurden, ist auch seitens dieses Produktes keine Herleitung zur Sicherheit möglich.[10] Der Vergleich erstaunt weniger, wenn man bedenkt, dass Beyfortus und Synagis beide vom pharmazeutischen Hersteller AstraZeneca vermarktet werden.

Grundsätzlich geht die Gabe von Fremd-Eiweißen mit einer erhöhten Gefahr von milden bis schweren allergischen Reaktionen einher, die in Einzelfällen sogar tödlich verlaufen können. Auf die Gefahr anaphylaktischer Schocks wird in der Zulassung von monoklonalen Antikörpern daher regelmäßig hingewiesen. Häufig sind Überempfindlichkeitsreaktionen, die entweder die Haut oder einzelne Organe betreffen oder sogar systemisch den ganzen Körper belasten.[11] In den Studien zu Nirsevimab (Beyfortus) sollen jedoch keine solchen allergischen Reaktionen aufgetreten sein. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde betont jedoch, dass die Anzahl an Probanden in den Studien zu gering war, um die Gefahr schwerer Reaktionen wie einer Anaphylaxie tatsächlich zu bewerten.[12]

Folgen dieser Strategie sind zu befürchten

Vorausgesetzt, der Einsatz von Antikörpern und Impfstoffen zeigt in Zukunft tatsächlich einen Effekt in der Reduzierung von RSV-Erkrankungen, wird dies nicht ohne langfristige Konsequenzen bleiben. Eine Reduzierung von RS-Viren könnte auf individueller und gesellschaftlicher Ebene dazu führen, dass ein Freiraum entsteht, der durch andere Viren besetzt wird. Derartige Veränderungen einer ökologischen Nische werden bereits jetzt als mögliches Risiko betrachtet.[13] Insbesondere, wenn der Einsatz nicht nur wie bisher auf eng definierte Risikogruppen beschränkt bleibt, sondern in Zukunft ein Großteil der Säuglinge sowie Schwangere und Senioren zu den neuen Zielgruppen der RSV-Impf- und Antikörper-Strategie zählen werden.

Kurz: Veränderungen bei RSV-Erkrankungen durch Corona-Maßnahmen sind ein hausgemachtes Problem. Dem mit einer neu eingeführten RSV-Meldepflicht, dem Einsatz eines zusätzlichen RSV-Medikamentes, sowie neu entwickelter RSV-Impfstoffe begegnet werden soll. Weitere Veränderungen in der ökologischen Nische der RS-Viren sind damit längerfristig zu befürchten. Die Zunahme anderer Erkältungsviren wäre die logische Konsequenz. Was in Zukunft erneut den Bedarf nach neuen Medikamenten und Impfstoffen nach sich ziehen würde…


[1] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie: Ende der RSV-Saison in Deutschland, 18.03.2023 

https://dgpi.de/ende-der-rsv-saison-in-deutschland-empfehlung-zur-beendigung-der-prophylaxe-bei-risikopatienten-stand-18-03-2023

[2] Deutscher Bundestag: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 20/6436 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes und personenstands- und dienstrechtlicher Regelungen, 14.06.2023 

https://dserver.bundestag.de/btd/20/072/2007235.pdf

[3] Robert-Koch-Institut: Protokoll der 104. Sitzung der Ständigen Impfkommission (STIKO) vom 01.-02. März 2023, 11.07.2023  

https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Protokolle/Sitzung_104.pdf?__blob=publicationFile

[4] Gemeinsamer Bundesausschuss: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage IV (Therapiehinweise) – Palivizumab, 27.06.2023 

https://www.g-ba.de/beschluesse/6063

[5] Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie: Leitlinie zur Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern, 30.10.2018 

https://dgpi.de/wp-content/uploads/2018/11/048-012l_S2k_Prophylaxe-von-schweren_RSV-Erkrankungen-Risikokindern-Palivizumab_2018-11.pdf

[6] European Medicines Agency: New medicine to protect babies and infants from respiratory syncytial virus (RSV) infection, 16.09.2022 

https://www.ema.europa.eu/en/news/new-medicine-protect-babies-infants-respiratory-syncytial-virus-rsv-infection

[7] Pharmazeutische Zeitung: EMA empfiehlt einmalige passive Impfung gegen RSV, 19.09.2022 

https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ema-empfiehlt-einmalige-passive-impfung-gegen-rsv-135633

[8] European Medicines Agency: Produktinformation – Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Beyfortus, 23.06.2023 

https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/beyfortus-epar-product-information_de.pdf

[9] Clinical Trial: A Study to Evaluate the Safety of MEDI8897 for the Prevention of Medically Attended Respiratory Syncytial Virus(RSV) Lower Respiratory Track Infection (LRTI) in High-risk Children, abgerufen am 06.09.2023 

https://clinicaltrials.gov/study/NCT03959488

[10] European Medicines Agency: Synagis. CHMP assessment report for paediatric use studies submitted according to Article 46 of the Regulation (EC) No 1901/2006, 21.11.2013 

https://www.ema.europa.eu/en/documents/variation-report/synagis-h-c-257-p46-0036-epar-assessment-report_en.pdf

[11] Experimental and Therapeutic Medicine: Hypersensitivity reactions to monoclonal antibodies: Classification and treatment approach (Review), 03.07.2021 

https://www.spandidos-publications.com/10.3892/etm.2021.10381/abstract

[12] Centers for Disease Control and Prevention: ACIP Evidence to Recommendations for Use of Nirsevimab in Infants born during the RSV season or entering their first RSV season, 03.08.2023 

https://www.cdc.gov/vaccines/acip/recs/grade/nirsevimab-season1-rsv-infants-children-etr.html

[13] American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine: New Interventions to Prevent Respiratory Syncytial Virus Disease in Infants—Time for Equitable Global Access, 21.03.2023 

https://www.atsjournals.org/doi/10.1164/rccm.202303-0568VP

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