Klaffende Lücken in der Überwachung von Impfstoffen in Deutschland

Ergänzung/Korrektur vom 18.09.2023

Für Betroffene der Masern-Impfpflicht ist die Frage nach den Risiken der Pflichtimpfungen zentral. Bewertungen dazu sind vom Paul-Ehrlich-Institut zu erwarten, der Bundesbehörde für Impfstoffsicherheit. Doch die Einführung gesetzlicher Impfpflichten geht nicht mit umfassender Informationspolitik einher.

Zur Bewertung der Sicherheit von Impfstoffen ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig. Als Bundesbehörde untersteht es direkt dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), was insbesondere im Hinblick auf verpflichtende Impfungen durchaus von Relevanz ist. So soll sich das PEI auch zur Sicherheit der Impfungen äußern, die das übergeordnete Ministerium bestimmten Personen- und Berufsgruppen mit einer Impfpflicht aufzwingt. Dies betrifft zum einen Masern-Impfungen im Rahmen des Masernschutzgesetzes seit 2020, zum anderen COVID-19-Impfungen im Rahmen der Duldungspflicht für Soldaten seit 2021, sowie der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für medizinisches und pflegendes Personal in 2022 und 2023.

Normalerweise veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) jährlich im Frühjahr seine Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus dem Vorvorjahr. Als Pharmakovigilanz wird hierbei die kontinuierliche Überwachung der Sicherheit eines Impfstoffes bezeichnet, die darauf abzielt, unerwünschte Wirkungen eines Impfstoffes zu entdecken und zu beurteilen. Wegen einer Überlastung der Gesundheitsbehörden während der Corona-Pandemie ist über drei Jahre hinweg jedoch keine Veröffentlichung zur Sicherheit der in Deutschland verwendeten Impfstoffe erschienen.[1] Ausnahme bilden hier die in der Pandemie neu zugelassenen COVID-19-Impfstoffe, zu denen regelmäßig Sicherheitsberichte in einem Sonderformat veröffentlicht wurden.[2]

Lücke über drei Jahre

Zwischen April 2020 und Februar 2023 klafft somit eine deutliche Lücke in der Information über die Impfstoffsicherheit in Deutschland. Erst im März 2023 erschien wieder eine Veröffentlichung zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen, die erstmals Erfassungen aus mehreren Jahren enthält – konkret von 2019 bis 2021.[3] Exakt in diesen Zeitraum fällt der Beginn der Masern-Impfpflicht nach dem Masernschutzgesetz vom 01. März 2020. Wie geht das Paul-Ehrlich-Institut darauf ein?

Anders als erhofft leider gar nicht. Ganz im Gegenteil fällt in der neuesten Veröffentlichung auf, dass statt eines umfassenderen Sicherheitsberichtes sogar deutliche Kürzungen vorgenommen wurden. So enthielt die Dokumentation der Vorjahre 2020 (für das Jahr 2018) und 2019 (für das Jahr 2017) jeweils noch ein eigenes Kapitel zu Todesfällen (Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen/Impfkomplikationen mit tödlichem Verlauf), dem Alter und Geschlecht der betroffenen Person, die konkrete Impfung und die jeweilige Impfkomplikation zu entnehmen war.[4][5] In der diesjährigen Dokumentation (für die Jahre 2019 bis 2021) ist kein solches Kapitel mehr enthalten. Stattdessen werden die insgesamt 72 gemeldeten Todesfälle lediglich kurz in einem Satz erwähnt (in Ausgang der gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen/Impfkomplikationen). Nach welchen Impfungen sich diese Todesfälle ereignet haben, ist erstmals nicht veröffentlich worden. Dass 19 Todesfälle davon Kinder betreffen, ist für den aufmerksamen Leser allein den Tabellen zu entnehmen.

Verlauf der Impfkomplikation unbekannt

Die enthaltenen Tabellen zeigen einmal mehr die Problematik eines passiven Meldesystems für die Impfstoffsicherheit auf. Denn das PEI dokumentiert allein die ihm gemeldeten Fälle, wobei von einer deutlichen Untererfassung ausgegangen werden muss. Gerade am Beispiel des Verlaufs der gemeldeten Impfkomplikationen zeigt sich, dass das PEI in einem passiven Meldesystem keinerlei Aktivität zeigt, umfassendere Informationen zu den einzelnen Fällen einzuholen. So lautet bei den Kindern der Ausgang der Reaktion – Hat sich der Patient mittlerweile erholt? Ist ein bleibender Schaden entstanden? Ist der Patient gar verstorben? – je nach Alter zwischen 20% und 27% schlichtweg „unbekannt“. Bei den Erwachsenen liegt dieser Prozentwert eines unbekannten Ausgangs sogar zwischen 23% und 50%. Die oben erwähnten 72 Todesfälle haben vor diesem Hintergrund einen äußerst geringen Aussagewert, wenn dem PEI bei über 3989 Fällen nicht bekannt ist, ob die Impfkomplikationen der betroffenen Personen möglicherweise tödlich verliefen.

Rückschritt in der Methodik

Vom Masernschutzgesetz betroffenen Kindern, ihren Eltern sowie betroffenen Arbeitnehmern stehen konkrete Informationen zur Impfstoffsicherheit zu: Was ist über Nebenwirkungen der hier zugelassenen Masern-Kombinations-Impfstoffe bekannt? Mit welchen Risiken ist eine Pflichtimpfung verbunden? Wie häufig kommt es zu leichten oder schwerwiegenden Impfkomplikationen und wie häufig zu Todesfällen nach den Impfungen? Keine dieser Fragen wird mit Bezug auf das Masernschutzgesetz in der neuesten Veröffentlichung auch nur annähernd beantwortet. Selbst die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht war für das Paul-Ehrlich-Institut kein Antrieb, die Bewertung der Sicherheit der Masern-haltigen Impfstoffe zu verbessern. Hingegen zeigt sich sogar ein Rückschritt in der Methodik, der für noch weniger Transparenz in der Impfstoffsicherheit führt.

In Folge der Impfpflicht wurden sowohl Kinder als auch Erwachsene zu Impfungen gedrängt, denen sie selbst oder entsprechend ihre Eltern freiwillig bislang nicht zugestimmt hatten. Vorhandene Unverträglichkeiten oder problematische Reaktionen auf frühere Impfungen sind dafür häufig genannte Gründe. Pflichtimpfungen auch für Menschen mit derartigen Vorbelastungen machen einen Anstieg an unerwünschten Nebenwirkungen wahrscheinlich. Eine besonders sorgfältige Überwachung der Impfstoffsicherheit sollte gerade deshalb genauso verpflichtend sein, wie die Impfungen selbst.

Ergänzung/Korrektur vom 18.09.2023:

Eine aufmerksame Leserin hat uns darauf hingewiesen, dass die aktuellste Veröffentlichung zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen des Paul-Ehrlich-Institutes [3] eine Unstimmigkeit enthält, die uns bislang nicht aufgefallen war. Im Text genannt werden insgesamt 72 Todesfälle (Seite 10). Eine Zahl, die auch wir für unseren Artikel übernommen haben. Zusammengerechnet aus den zwei Übersichtstabellen zu Impfkomplikationen ergeben sich jedoch 74 Todesfälle (Seiten 7-8). Der Grund für die Diskrepanz von zwei Todesfällen wird in dem Dokument nicht ersichtlich. Es handelt sich um einen Fehler der Autoren des Paul-Ehrlich-Institutes. Es spricht nicht für die Sorgfalt, die das PEI auf diese Berichte verwendet, wenn solche Fehler passieren.


[1] Paul-Ehrlich-Institut und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Verschiebung des Beitrags „Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus dem Jahr 2019“, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, April 2021

https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/bulletin-arzneimittelsicherheit/2021/1-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=5

[2] Paul-Ehrlich-Institut: Archiv Sicherheitsberichte, zuletzt abgerufen am 08.08.2023

https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/sicherheitsberichte/archiv-berichte.html

[3] Paul-Ehrlich-Institut und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus den Jahren 2019 bis 2021, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, März 2023

https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/bulletin-arzneimittelsicherheit/2023/1-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=5

[4] Paul-Ehrlich-Institut und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus dem Jahr 2018, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, März 2020

https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/bulletin-arzneimittelsicherheit/2020/1-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[5] Paul-Ehrlich-Institut und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus dem Jahr 2017, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, März 2019

https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/bulletin-arzneimittelsicherheit/2019/1-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=2