Masernimpfpflicht – Zwangsgeld

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof zur Zwangsgeldandrohung bei fehlendem Masernschutz

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat kürzlich eine Zwangsgeldandrohung im Zuge der Aufforderung der Nachweisvorlage eines ausreichenden ´Masernschutzes bei summarischer Prüfung für rechtswidrig erachtet (Beschluss vom 21.09.2023 – 20 CS 23.1432).

Unserem beratenden Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Jan Matthias Hesse (Stuttgart) liegt der Beschluss im Wortlaut vor. Wir haben ihn um eine Einschätzung gebeten: Was sagt der Beschluss aus? Welche Folgerungen sind aus dem Beschluss zu ziehen?

Der Beschluss ist in einem Eilverfahren ergangen. Es handelt sich somit noch nicht um eine abschließende Entscheidung, sondern um eine vorläufige Entscheidung nach summarischer Prüfung. Die Entscheidung in der Hauptsache steht also noch aus. Dennoch ist der Ausgang einer solchen Entscheidung im sog. vorläufigen Rechtschutz natürlich ein wichtiges Indiz. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird das Hauptsacheverfahren zu demselben Ergebnis führen.

Der Bayerische VGH verweist einerseits darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21.07.2022 (1 BvR 469/20 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des § 20 Abs. 8ff IfSG nicht durchgreifend in Frage gestellt habe.

Das Gericht weist dann aber zurecht auch auf die Unterschiede der Regelungen zum Masernschutz im Kita-Bereich und im Schulbereich hin.

Das Gewicht des Eingriffs in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit wird nach dem Beschluss des BVerfG zum Kita-Bereich dadurch abgemildert, dass die Nachweispflicht die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufhebe und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belasse. Die Nachweispflicht ordne keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an. Vielmehr verbleibe den Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum, indem Eltern auf eine Schutzimpfung ihres Kindes verzichten können und das Kind anderweitig betreuen.

Hier macht der Bayerische VGH aber zurecht einen wesentlichen Unterschied zur Masernimpfpflicht im Schulkontext mit Blick auf die bestehende Schulpflicht fest:

Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich im vorliegenden Fall um einen eingeforderten Masernimpfnachweis eines schulpflichtigen Kindes handelt, welches der Nachweispflicht regelmäßig nicht ausweichen kann. Nachdem der Gesetzgeber mit der Einführung der Nachweispflicht bei Masern ausdrücklich keine Impfpflicht begründen wollte (vgl. Bundestagsdrucksache 19/13452 S. 27), ist diese Intention im Rahmen der Durchsetzung der Nachweispflicht zu berücksichtigen. Die Anwendung von Verwaltungszwang in Form von Zwangsgeld dürfe daher bei schulpflichtigen Kindern nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen.

Diese Aussage und Klarstellung ist erfreulich.

Allerdings erklärt der Bayerische VGH die Anwendung von Zwangsmitteln im Zuge des Masernschutzgesetzes dann nicht per se für unzulässig.

Im konkreten Fall rügt der Bayer. VGH letztlich (nur) folgenden Punkt:

Die …… Zwangsgeldandrohung stellt sich bei summarischer Prüfung jedoch als rechtswidrig dar, weil die Antragsgegnerin ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt hat…..

Im vorliegenden Fall ging die Antragsgegnerin ausweislich der Begründung des Bescheids dagegen von einer gebundenen Entscheidung aus und hat damit ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt. Auch im Hinblick auf das Auswahlermessen ist die Begründung des Bescheids floskelhaft. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheids ist somit aller Voraussicht nach rechtswidrig, weshalb insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war.

Der Bayerische VGH erklärt somit zwar einerseits, dass Verwaltungszwang in Form von Zwangsgeldern bei schulpflichtigen Kindern nicht dergestalt ausgeübt werden darf, dass dies zu einer faktischen Impfpflicht führe. Auf der anderen Seite legt sich der Bayerische VGH aber auch nicht dahingehend fest, dass jegliche Androhung und Anwendung von Zwangsmitteln in diesem Bereich per se unzulässig seien.

Wo die Grenze zum unzulässigen Druck verläuft, lässt der Bayerische VGH somit weiter offen.

Immerhin eröffnet und bestärkt der Bayerische VGH mit dieser Entscheidung Argumentationsmöglichkeiten in diese Richtung.

Offen lässt der Bayerische VGH die Frage, ob eine medizinische Kontraindikation auch aus psychiatrischen Gründen denkbar ist. Das schließt der Bayerische VGH jedenfalls erfreulicherweise nicht von vornherein aus.

Fazit:
Die Gerichtsentscheidung geht in die richtige Richtung. Sie thematisiert die problematische Grenze zu einer faktischen Impfpflicht bei Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern zur Durchsetzung der Anordnung zur Nachweisvorlage, die faktisch häufig nur durch Impfung erfüllt werden kann.

Allerdings zieht das Gericht keine klare Grenze und erklärt die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern nicht per se für unzulässig.

Im konkreten Fall rügt das Gericht im Ergebnis nur ein fehlendes Entschließungsermessen der Behörde, also das Fehlen von Erwägungen dazu, warum sie eine Zwangsgeldandrohung für geboten hielt, obwohl sie dazu nicht verpflichtet wäre.

Erfreulich ist, dass das Gericht zumindest die Möglichkeit einer medizinischen Kontraindikation auch aus psychiatrischen Gründen in Erwägung zieht und nicht von vornherein ausschließt.

Stuttgart, den 28.09.2023
Jan Matthias Hesse

Update vom 10.12.2023

Zu diesem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes liegt mittlerweile ein Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern vom 20.11.2023 vor.

Die Landesanwaltschaft Bayern ist die „Anwaltskanzlei“ des Freistaates Bayern vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht.

Das Landratsamt Rottal-Inn verweist in einem Bescheid auf Rücknahme einer Zwangsgeldandrohung wie folgt auf dieses Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern:

„Mit Schreiben vom 20.11.2023 teilte die Landesanwaltschaft Bayern unter Verweis auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.09.2023, Aktenzeichen 20 Cs 23.1432, mit, dass eine Zwangsgeldandrohung nur noch in entsprechend zu begründenden, außergewöhnlichen Ausnahme- und Einzelfällen möglich sein dürfte, so dass die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des dortigen Bescheides nach Ansicht des Landratsamtes Rottal-Inn wohl rechtswidrig sein dürfte.“

Unter Bezugnahme auf das zitierte Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern hat das Landratsamt Rottal-Inn in einem konkreten Fall eine Zwangsgeldandrohung zurückgenommen.

Die Sichtweise der Landesanwaltschaft Bayern ist zu begrüßen. Demnach ist die Androhung und Verhängung eines Zwangsgeldes nur noch in begründeten außergewöhnlichen Einzelfällen mit entsprechender Begründung zulässig.

Es ist zu hoffen, dass sich diese Sichtweise der Landesanwaltschaft Bayern auch bundesweit durchsetzt.

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